ZEITSPIEL Geschichte. Ausgabe #29
Der lange Weg zum bezahlten Fußball
(Von Hardy Grüne)
Wie schon Anfang der 1930er Jahre engagierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem Westdeutschland als Befürworter einer landesweiten Spielklasse. Im westdeutschen Verbandsgebiet gab es eine ungewöhnliche Dichte an Spitzenteams, wodurch dem WFV eine besondere Fürsorgepflicht zukam. Bereits 1951 hatte man sich für die Einführung eines Vollprofis zur Saison 1953/54 eingesetzt, war damit jedoch auf zwei DFB-Bundestagen gescheitert.
Die Entwicklung konnte allerdings nicht aufgehalten werden. Formal war Profifußball in Deutschland zwar verboten, tatsächlich aber gab es bereits seit den 1920er Jahren Spieler, die offiziell bei Betrieben angestellt waren, ohne dort allzuviel für ihr Geld tun zu müssen. Schalke-Legende Ernst Kuzorra sagte einmal: „Mit der Kohle, die ich aus der Erde gehauen habe, hätte man nicht einmal einen Wasserkessel heiß machen können“. Offiziell (also legal) durfte ein Oberligaspieler maximal 320 DM erhalten – das entsprach dem Monatslohn eines durchschnittlichen Facharbeiters.
Am 27. Oktober 1951 beauftragte die DFB-Führung den für die Oberligen zuständigen Vertragsspieler-Ausschuss, ein Gutachten über „die bisherige Entwicklung in den Oberligen“ zu erstellen, und stellte nüchtern fest: „Wie bei jedem Leistungssport, so muss auch beim Fußballsport mit einem kommenden Berufssport gerechnet werden. Der DFB ist bereit und verpflichtet, einen kommenden Professionalismus in seine Organisationen einzuschließen. Es soll dabei auch erreicht werden, den Vereinen unter allen Umständen ihre Gemeinnützigkeit zu erhalten. Der DFB wird mit allen Kräften verhindern, dass ein kommender Berufsfußball von sportfremden, geschäftstüchtigen Managern organisiert wird.“ Dem Verband ging es also vor allem darum, die Kontrolle zu behalten. Der „Kicker“ zitierte einen namentlich nicht genannten „maßgebenden Mann vom DFB“, der Fußballbund würde sich „davor fürchten, dass die Vertragsspieler einen eigenen Verband gründen und die großen Toto-Gesellschaften mit ihnen allein Verträge wegen der prozentualen Abgaben machen“.
Stillstand in den 1950er Jahren
Im Oktober 1952 plädierte der in der Bundesligafrage sehr engagierte „Kicker“ erneut für eine Ligareform: „Aus der jetzigen Massenliga von über 70 Mannschaften (!) lässt sich keine Spitzenklasse und damit keine hochklassige Nationalelf entwickeln. Die Bundesliga muss kommen. Darüber sind sich alle klar. Zugegeben, dass die hier empfohlene Schnelloperation schmerzlich ist, sie verhindert aber, dass die krankhafte Wucherung der leistungszersetzenden Mittelmäßigkeit die deutsche Spitzenklasse erstickt. Alle Länder haben Nationalligen. Warum Deutschland nicht? Nur weil die zurzeit schwächeren Oberliga-Mannschaften aus begreiflicher Sorge, nicht zur Bundesliga aufzusteigen, den Fortschritt aufhalten wollen? (…) Um jedoch den Schritt nicht zu grausam ziehen zu müssen – zumal er trotz aller unbestreitbaren Schwierigkeiten schon für die nächste Saison erwogen werden sollte (also 1953/54, d. Verf.) –, empfiehlt es sich vielleicht, zunächst in drei Gruppen zu spielen. Aus jeder Oberliga stiegen dann, durchschnittlich, je sechs Mannschaften, also 30 Vereine auf, wobei Berlin und Südwest zugunsten der stärkeren Staffeln Süd, West und Nord etwas knapper zu halten wären. Diese 30 Vereine ermitteln 1953/54 eine Bundesliga von 15 oder 18 Mannschaften, die dann 1954 in einer Gruppe die deutsche Spitzenklasse repräsentieren, wie es in allen anderen Ländern gehalten wird.“
Auf dem DFB-Bundestag am 4. Juli 1953 in Frankfurt brachte Westdeutschland einen Antrag ein, die Bundesliga zunächst in zwei Gruppen (Süd/Südwest und West/Nord) zu starten. Das Gesuch wurde mit laut „Kicker“ „fast allen Stimmen (eine Enthaltung) gegen die 27 Stimmen des Westens abgelehnt“. Selbst die westdeutsche Drohung, aus dem „DFB auszubrechen und den Professionalismus allein in seinem Gebiet durchzuführen“, beeindruckte die Bundesligagegner nicht. „Kicker“: „Paul Flierl (Fürth) erklärte, dass im Westen durch die größere Bevölkerungsdichte andere und günstigere Voraussetzungen gegeben seien als im Süden und den übrigen Regionalgebieten. Im Süden habe man 50 Jahre lang in der bisherigen Form gespielt und sich wohlgefühlt. Man sei nicht bereit, einen Sprung ins Ungewisse zu machen. Dr. Keller (Frankfurt) meinte, wenn schon bei dem gegenwärtigen Spielsystem durch das Vertragsspielertum keine absolute Sauberkeit im Sport zu erzielen sei, dann erst recht nicht durch die Schaffung einer Bundesliga. Man möge die Entwicklung um das Vertragsspielerwesen natürlich voranschreiten lassen und dann reformieren, wenn es notwendig sei.“
Auf demselben Bundestag verkündete der DFB, man habe bei den Spielen um die deutsche Fußballmeisterschaft 1953 einen „Überschuss von 300.000 DM erzielt“ und das „Geschäftsjahr mit einem Gewinn von 81.770 DM abgeschlossen“, während die „Mitgliederzahl um 63.653 auf 1.607.624 gestiegen“ sei. Offenbar hatte der Verband also kein Problem, sich die eigenen Kassen von Vertragsfußballern füllen zu lassen, verweigerte diesen aber das Recht, als Profi legal einen angemessenen Anteil vom Umsatz zu kassieren. Zudem gerierte man sich als moralische Instanz in Sachen „Sauberkeit im Fußball“. Das erfuhren Horst Buhtz (VfB Mühlburg) und Karl-Heinz Spikowski (Bayer Leverkusen), als sie 1953 zum italienischen Profiklub AC Turin wechseln wollten. Der DFB, der darauf beharrte, bei Spielerwechseln ins Ausland das „letzte Wort“ zu haben, verweigerte zunächst die Freigabe und gab erst auf politische Interventionen nach. Horst Buhtz wurde anschließend nie wieder in die Nationalelf berufen – mit „Söldnern“ wollte der DFB nichts zu tun haben.
Resultat waren „schwarze Kassen“ und undurchsichtiges Finanzgebaren der Klubs, die sich im Werben um das knappe Gut „Spitzenfußballer“ allerlei Tricks und Auswege einfallen ließen. Das entging auch den Behörden nicht. Im Juli 1953 untersuchten die Finanzämter im Rahmen einer Großfahndung die Kassenbücher diverser Westklubs (u. a. Borussia Dortmund, Preußen Münster, Schalke 04 und STV Horst-Emscher), weil Hinweise über illegale Handgelder und ähnliche „buchfremde Zuwendungen“ eingegangen waren. „Das beweist, dass der Vollprofi schon heute innerhalb des Vertragsspielertums eine feststehende Tatsache ist“, kommentierte der „Kicker“ süffisant.
In dieselbe Kerbe schlug Kolumnist Heinz Kron, der sich dabei allerdings von Sozialromantik steuern ließ: „Wie viele ‚Fälle’ würden unmöglich sein, wie viel Korruption würde verhindert! Die Dunkelmänner mit den Handgeldern und den großen Limousinen hätten zum großen Teil ihre Rollen ausgespielt. Es wäre ein Anfang gemacht, den Augiasstall auszumisten. Wer dann noch einmal einen Blick hinter die Kulissen werfen könnte, würde weniger Abscheu vor der Entwicklung im deutschen Fußball haben. Und wenn man dann noch die Klausel bei Spielerwechsel einflechten würde, dass bei alljährlichem Vereinswechsel eine Sperre von drei Monaten fällig ist, dann würde langsam, aber sicher Dortmund wieder mit Dortmundern, München wieder mit Münchnern, Hamburg wieder mit Hamburgern und Nürnberg-Fürth wieder mit Nürnberg-Fürther Leuten spielen.“
Das passte zu den damals von den Sportmagazinen propagierten „Homestories“, in denen die Spieler auf ihren vermeintlichen Arbeitsplätzen bei Industrie- oder Gewerbeunternehmen als „anständige Arbeitnehmer“ präsentiert wurden. Ob sie nun nur zum Fototermin an ihrem „Arbeitsplatz“ erschienen oder tatsächlich eine Sechs-Tage-Woche am Schreibtisch oder in der Werkhalle schoben, blieb unklar. Die Wirtschaftslage in Deutschland gab das Profitum übrigens her. Mit Beginn des Koreakrieges und vor dem Hintergrund des „Kalten Krieges“ zwischen Ost und West verbuchte die Wirtschaft in der ersten Hälfte der 1950er Jahre zwischen sieben und zwölf Prozent Wachstumsrate. Außerdem gab es innovationsfreudige Unternehmen wie die Schuhfabrik von Adolf Dassler, in der jener Schraubstollen erfunden wurde, der bei WM 1954 seinen ersten großen Einsatz hatte. Der Modernisierungsschub erfasste auch kleinere Gemeinden wie die Schuhstadt Pirmasens, die Beamtenstadt Oldenburg oder die unmittelbar am „Eisernen Vorhang“ gelegene Textilhochburg Hof, in denen die lokalen Fußballvereine nach oben strebten. Wirtschaftswunder und Fußballerfolge gingen oft Hand in Hand.
Rückfall in die Steinzeit
Verschärft wurde die Diskussion durch die angespannte Finanzlage bei zahlreichen Oberligisten. Die Lücke zwischen leistungs- und finanzstarken Klubs, die sich ihre Mannschaften zusammenkauften (wie Preußen Münster Anfang der 1950er), und mit überschaubaren Mitteln ausgestatteten Vereinen, die ihre Spieler selbst ausbildeten und regelmäßig Leistungsträger an die „Großen“ abgeben mussten, wurde zunehmend größer. Zudem flossen die Toto-Zuschüsse nach Einführung des Zahlenlottos nicht mehr so üppig wie bisher, was vor allem die kleinen Klubs zu spüren bekamen. Der DFB reagierte mit verschärften Regeln. Schon 1953 hatte er eine „Sechs-Spieler-Klausel“ eingeführt, nach der Vereine in den Spielzeiten 1953/54 und 1954/55 insgesamt nicht mehr als sechs neue Spieler verpflichten durften. Ausnahmen gab es nur, wenn ein Akteur Sportinvalidität anmelden musste. Damit sollte dem systematischen Zusammenkaufen einer Mannschaft ein Riegel vorgeschoben werden.
In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre kam allmählich Bewegung in die festgefahrene Profifrage. 1956 heizte erneut der „Kicker“ die Diskussion an und forderte: „Gebt Vereinen und Spielern die Möglichkeit, nach Leistung zu zahlen. Engt sie nicht durch die Fixierung von Summen ein. Lasst sie frei vereinbaren. Macht den Vertragsspieler zum echten Steuerbürger, der je nach Höhe der Summen, die er für das Fußballspielen erhält, auch Steuern entrichtet.“ Nach Gesprächen einiger Redakteure mit hohen Beamten des Bonner Finanzministeriums veröffentlichte das Fachblatt eine Artikelreihe unter dem Titel „Bundesliga-Probleme sind alle lösbar“, in der die „Tendenzen des Autoritarismus“ in der DFB-Führung sowie ein „Monopol der Meinungsbildung“ angeprangert wurden. Den Funktionären warf man Täuschung vor, denn „1. Nicht einmal die Einführung des reinen Profitums würde die Gemeinnützigkeit grundsätzlich in Frage stellen! 2. Eine Lohnsteuerpauschale wäre auch bei angehobenen Vertragsspielergehältern möglich! 3. Eine Erhöhung der Spielergehälter scheitert nicht grundsätzlich am Widerstand des Bundesfinanzministeriums!“
Mutig geworden, verlangte der Westdeutsche Fußballverband die Einberufung eines gesonderten DFB-Bundestags zwecks „Neuordnung des Berufssports im Fußball“. Nachdem die Fragestellung modifiziert worden war (da Berufssport im Fußball nicht existierte, gäbe es nichts „neu“ zu ordnen), beriet man allgemein über die „Neuordnung des deutschen Fußballs“. „Die Entscheidung fiel um 12.16 Uhr!“, jubelte der „Kicker“ anschließend und schrieb: „Am Samstagnachmittag, 27. Juli 1957. In der lichtdurchfluteten, weiten Sporthalle der badischen Sportschule auf dem Turmberg bei Karlsruhe hat das Parlament des deutschen Fußballs mit allen Stimmen einem maßvoll formulierten und eindrucksvoll begründeten Antrag des Westdeutschen Fußballverbandes stattgegeben“. Die Bundesliga schien zum Greifen nah.
Schien. Denn auf dem darauffolgenden Bundestag wurde zwar eine zwölfköpfige Kommission gebildet, die sich allerdings den Ruf erwarb, ein Gremium zur „Verhinderung der Neuordnung“ zu sein. Ihr Vorsitzender Ludwig Franz plädierte sogar für eine weitere Aufweichung der höchsten Spielklassen und forderte zudem, die Zahl der Länderspiele zu begrenzen: „Vier mögen genügen.“ Der „Kicker“ sah nun einen „Rückfall in die Fußball-Steinzeit“ und fragte, „ob wir tatsächlich im Herbst und nicht am 1. April leben“. Als die Kommission ihre Ergebnisse vorlegte, wurden die alten Argumente vorgetragen: Die Gemeinnützigkeit sei gefährdet, und am besten würde man mit einem „Weiter so“ fahren. Der außerordentliche DFB-Bundestag am 12. April 1958 folgte den Argumenten und schloss sich den Worten des Fürther Amateurverfechters Paul Flierl an, der ein Ende der „ständigen Debatten über ein paar hundert unzufriedene bezahlte Fußballspieler“ forderte, um sich wichtigeren Problemen wie „Schulfußball und Jugendbetreuung“ zu widmen.
Fritz Weilenmann forderte daraufhin im „Kicker“ einen separaten Ligaverband: „Gebt den Klubs des bezahlten Fußballs endlich eine eigene Verwaltung innerhalb des DFB! Ihr hebt damit einen völlig unzeitgemäßen, nur noch in Deutschland herrschenden Zustand auf und schafft auch die Voraussetzung dafür, dass der ‚große’ Bundestag die Probleme des bezahlten Fußballs nicht mehr behandelt.“ (> nach dem "Werbeblock" weiterlesen)
Vorbild Niederlande
Für die Wende brauchte es personelle Veränderungen in der Verbandsspitze. In den Gremien des DFB saßen ausschließlich Männer, die teilweise seit den 1920er Jahren dabei waren und nie um ihren Posten hatten fürchten müssen. So etwas wie Wahlkampf kannten sie nicht. Man erklomm langsam, aber stetig die Karriereleiter, übernahm mit zunehmendem Alter immer wichtigere Führungspositionen und wurde nicht an Taten, sondern an „Alter“ und „Verdienst“ gemessen. Entsprechend war die DFB-Führung eine geschlossene Gesellschaft, befand sich unter den Entscheidungsträgern kein früherer Spitzen- oder gar Nationalspieler!
Wie es ging, zeigte 1956 die Niederlande, die nach ähnlich hartnäckig geführter Diskussion mit der „Eredivisie“ grünes Licht für den bezahlten Fußball gab und eine Trennung zwischen Profis und Amateuren vollzog. Vorausgegangen war die Gründung eigenständiger Profiklubs bzw. einer verbandsunabhängigen Berufsfußball-Liga sowie ein personeller Wechsel im Nationalverband KNVB. 1953 war Verbandschef und Amateur-Hardliner Karel Lotsy, wie DFB-Präsident Bauwens in den 1920er Jahren Spitzenschiedsrichter, vom gemäßigten H. F. Hopster abgelöst worden, der umgehend die überfällige Modernisierung sowie Liberalisierung einleitete. Ähnliches sollte sich Anfang der 1960er-Jahre auch im DFB ereignen, als der Osnabrücker Hermann Gösmann (Nachfolger von DFB-Präsident Bauwens) sowie Helmut Schön (Nachfolger von Bundestrainer Herberger) frische Impulse gaben. Zwar zählten auch Gösmann und Schön nicht zu den „skeptischen Jahrgängen“ (jung genug, um sich politisch neu orientieren zu können), aber, so der Historiker Rudolf Oswald: „Im Gegensatz zu ihren Vorgängern, die von den vermeintlichen Verwerfungen der Moderne geradezu besessen schienen, hatte für den neuen DFB-Chef und den neuen Bundestrainer die Zivilisation an Schrecken verloren.”
Nach der WM 1958 wurden die Forderungen nach einer Bundesliga drängender. Denn den Oberligisten rannten ihre Stars weg. 1960 gingen trotz Drohgebärden des DFB weitere Elitekicker nach Italien und verstärkten das dortige deutsche Kontingent. Darunter war mit Horst Szymaniak erneut ein Nationalspieler, der in Italien für dieselbe Arbeit erheblich mehr Lohn bekam. Selbst Volksheld Uwe Seeler hatte inzwischen einen Optionsvertrag unterzeichnet, bei „einem Wechsel vom HSV in jedem Fall zu Inter Mailand zu gehen“. Wohlgemeinte Maßnahmen wie die 1959 erfolgte Heraufsetzung der Höchstgrenze der (legalen) monatlichen Bezüge von 320 auf 400 DM für Oberligaspieler waren angesichts der Summen, die südlich des Brenners gezahlt wurden, geradezu lächerlich. Fritz Walter, der trotz zahlreicher Angebote Kaiserslautern treu blieb, erzählte später über das Amateurparadies Bundesrepublik: „Zunächst hatten wir, meine Frau Italia und ich, eine Zeitlang eine Wäscherei. 1956 ist unser Kino eröffnet worden, das heute verpachtet und unser bezahltes Eigentum ist. Meine Frau hat in diesem Komplex auch die Toto- und Lottoannahmestelle geführt. Ich war dann zwei Jahre Kundendienstleiter bei Wagner-Polstermöbel, vorübergehend auch Kundendienstleiter bei der Firma Saba.“ Zeitgleich sorgte sich der in Turin spielende Horst Buhtz um die Stabilität der italienischen Wirtschaft und transferierte seine Fußball-Millionen in die finanzsichere Schweiz: „Von Zeit zu Zeit fuhr ich nach Lugano – zehn Millionen Lira um den Bauch gebunden. Ich hatte Glück, dass ich nie einer Leibesvisitation unterzogen wurde.“
Ein auf dem DFB-Bundestag im Juli 1960 von Hermann Neuberger, Präsident des Saarländischen Fußballverbandes, geschickt formulierter Antrag, die Zahl der Vertragsspielermannschaften zu reduzieren (statt offen „das Profitum“ zu fordern), sorgte schließlich für den Durchbruch. Neubergers Antrag im Wortlaut: „Der Bundestag des DFB ist der Auffassung, dass es im Bereich des DFB zu viele Vereine mit Vertragsspielermannschaften gibt. Es steht fest, dass ein großer Teil der Vereine mit Vertragsspielermannschaften weder spielerisch noch wirtschaftlich die Voraussetzungen erfüllen, die an das Vertragsspielerwesen geknüpft sind. Deshalb beauftragt der Bundestag den Beirat und die Regionalverbände, unverzüglich Maßnahmen zur Verminderung der Vertragsspielervereine zu ergreifen.“ „Freie Bahn für die Bundesliga!“, jubelte der „Kicker“ und staunte, dass selbst die hartnäckigen Bundesligagegner Süd- und Norddeutschland zugestimmt hatten: „Ja, der wackre Paul Flierl aus Fürth, jahrelang der erbittertste Gegner der Bundesliga, ließ sensationelle Worte vernehmen, lange bevor der Antrag des Saargebietes zur Debatte stand. (…) Ein überraschender, aber erfreulicher Sinneswandel, der hoffentlich durch die Einsicht der verantwortlichen Funktionäre des deutschen Fußballs bewirkt wurde, dass nur eine durchgreifende, den realen Gegebenheiten auf dem deutschen und internationalen Fußballmarkt angepasste Neuordnung den Bestand und eine gesunde Weiterentwicklung des deutschen Fußballs garantieren kann.“
Am 28. Juli 1962 war es endlich so weit. Auf dem DFB-Bundestag im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhalle stellten Franz Kremer (Vorsitzender des 1. FC Köln), Saar-Präsident Hermann Neuberger, Hermann Gösmann (designierter DFB-Präsident) sowie Ludwig Franz (designierter DFB-Vizepräsident) den Antrag: „Der Bundestag möge beschließen, vom 1.8.1963 an eine zentrale Spielklasse mit Lizenzspielern unter Leitung des DFB einzuführen“. „Eigentlich hatte es geheißen „Der Bundestag möge beschließen, dass vom 1. August 1963 die zentrale Spielklasse mit Berufsspielern eingeführt wird“, was vom Gremium jedoch mit 80:49 Stimmen abgelehnt worden war. Erst nachdem „Berufsspieler" durch „Lizenzspieler“ ersetzt worden war, erfuhr der Antrag in geheimer Abstimmung mit 102:26 Stimmen Zustimmung.
Im Gegensatz zum „Vertragsspieler“ der Oberligen, der einen „ordentlichen“ Beruf auszuüben hatte, konnte der neugeschaffene Lizenzspieler „nebenbei“ auch noch einen „ordentlichen Beruf“ ausüben, „soweit dadurch ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihrem Verein nicht beeinträchtigt werden“. Das monatliche Gehalt lag zwischen 250 und 500 DM und durfte 1.200 DM nicht überschreiten. „Besonders qualifizierte Spieler“ konnten bis zu 2.500 DM erhalten, wofür ihr Verein jedoch eine gutachterliche Stellungnahme (Genehmigung) vom Bundesligaausschuss benötigte. Für Ablösezahlungen gab es eine Obergrenze, die bei 50.000 DM lag. In England hatte die Spielergewerkschaft übrigens ein Jahr zuvor erfolgreich die Abschaffung der Gehaltsgrenzen durchgesetzt.
Auch ein Schuss Moral fehlte nicht. So hieß es in Paragraf 14d des Lizenzspielerstatus: „Der Spieler muss einen guten Leumund haben. (...) Zu den Pflichten des Lizenzspielers gehören insbesondere sportlich einwandfreier Lebenswandel, volle Einsatzbereitschaft und Ritterlichkeit gegenüber dem Gegner. (…) Spieler dürfen ihren Namen nicht zu Reklamezwecken zur Verfügung stellen.“ Damit war die Bundesliga für aus Italien umworbene Spieler kaum attraktiver als die Oberligen, weshalb der Exodus über den Brenner auch weiterging. Nach der WM in Chile waren 1962 bereits die Nationalspieler Helmut Haller zum FC Bologna und Albert Brülls zum FC Modena gewechselt. Im Sommer 1963, also nach der Bundesligagründung, gingen der Kölner Karl-Heinz Schnellinger sowie der Dortmunder Jürgen Schütz.
Infokasten: Die Väter der Bundesliga
Als „Väter der Bundesliga“ gelten insbesondere der Saarländer Hermann Neuberger und der Kölner Franz Kremer, die vom scheidenden Bundestrainer Sepp Herberger unterstützt wurden. Neuberger war ein geschickter Strippenzieher und redete mit Engelszungen auf die wankelmütigen Verbandsdelegierten aus dem Südwesten und Norden ein. Kremer kümmerte sich um die Vereinsebene. Mit seinem 1. FC Köln hatte er den Prototypen eines „modernen Vergnügungsvereins“ geschaffen, in dem der Fußballbetrieb unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet wurde. Außerdem besaß man das modernste Trainingsgelände im deutschen Fußball und diente auch diesbezüglich anderen Vereinen als Vorbild.
Dieser Text stammt aus Ausgabe #29
Mehr lesen?
Dann jetzt unsere Ausgabe #29 ordern, in der wir ausführlich über den Countdown zur Bundesliga berichten.