ZEITSPIEL Legenden: Fußballvereine
Fußballgeschichte wird an vielen Orten geschrieben. Die Buchreihe "ZEITSPIEL Legenden" erzählt sie flächendeckend und lokal. Wie es war, wie es wurde, wie es heute ist. Ausführliche und kenntnisreiche Vereinsporträts von der Gründung bis in die Gegenwart. Geschrieben von ausgewiesenen Kennern, stark bebildert, emotional, bereichernd.
Vorwort Band 1
Fußball ist ein Weltsport, der lokal gelebt wird. So war es für mehr als ein Jahrhundert, ehe der Lauf der Zeit – und nicht zuletzt die rasante Entwicklung im „großen“ Fußball – traditionsreiche Fußballhochburgen im ganzen Land ins Abseits geraten ließ. Heute gibt es in vielen einst stolzen Fußballstädten mehr Fans des FC Bayern als des eigenen Aushängeschildes. Aus lokaler Fußballkultur wurde dadurch erst Erinnerung und dann Legende.
Die Buchreihe „ZEITSPIEL Legenden – Fußballvereine“ will diesen aus dem Fokus gefallenen Klubs ein Denkmal setzen. Ihre Geschichten, Tragödien und großen Momente festhalten und im Idealfall die Basis dafür liefern, dass sich nachfolgende Generationen motiviert fühlen, „ihrem“ lokalen Klub (wieder) eine überlebensfähige Gegenwart zu schaffen.
Fußball war immer im Wandel, und die Floskel von „früher war alles besser“ teilen wir bei ZEITSPIEL aus gutem Grunde nicht. Nehmen wir Borussia Neunkirchen. Heute in der sechstklassigen Saarlandliga unterwegs und von Fußallromantikern schon allein wegen des unvergleichlichen Ellenfeld-Stadions geliebt, wurde dem Klub 1922 vorgeworfen, er würde sich durch die „Erwerbung einer Anzahl auswärtiger Kanonen“ Vorteile gegenüber der Konkurrenz verschaffen. Damals war Neunkirchen eine boomende Industriestadt, investierten die ortsansässigen Eisenwerke bzw. Brauerei bereitwillig in den Aufstieg der Borussia, die damit Ausnahmekönner aus Wien und Kiel anlocken konnte. Es ist nun mal das Wesen des Leistungsfußballs, sowohl wirtschaftliche als auch personelle Konzentrationen zu schaffen. Die Konsequenzen freilich fallen 2020 ungleich schärfer aus als 1922 oder auch 1968, als beispielsweise Bayern Hof seine große Zeit hatte. Die Ära eines flächendeckenden Spitzenfußballs ist zu Ende.
Jede Klubgeschichte ist eine spezielle und einzigartige Version der Fußballhistorie. Und genau das will diese Buchserie leisten: Erzählen wie es entstand, wie es wurde, wie es ist. Hineingehen in die Geschichte aus Hof, wo mit regionalen Talenten und schmaler Kasse ans Tor zur Bundesliga geklopft wurde. Oder der aus Gera, wo man ohnmächtig vor den ständigen Eingriffen der Sportfunktionäre stand. Der aus Frankfurt/O., wo die Sportfunktionäre gleich verbrannte Erde hinterließen, und der aus Wuppertal, wo die wilden Fußballträume in der Gegenwart noch immer für verbrannte Erde sorgen.
Für die Reihe „ZEITSPIEL Legenden“ schreiben Experten und Historiker, Vereinsarchivare, Nostalgiker und immer Menschen, für die Fußballhistorie mehr ist, als die Nacherzählung des 1:0. Nämlich Teil der Gesellschaftsgeschichte. Alle Porträts sind daher eingebettet in die Stadt- und Wirtschaftsgeschichte, denn der lokale Fußballverein war und ist Teil der örtlichen Kulturlandschaft. Möge diese Reihe dazu beitragen, dass das auch in Zukunft so bleibt.
Textbeispiel Band 1: FC Bayern Hof
Im Jahr 1972 griff der FC Bayern Hof nach den Sternen. Mal wieder! Schon 1959 hatte ein Münchner Boulevardblatt geschrieben, Hof sei „die fußballfreudigste Stadt dieses Jahres in der gesamten Bundesrepublik“. Dann 1968: Südmeister, in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga fulminant, aber glücklos. Und jetzt, vier Jahre später, war Hof wieder in aller Munde bei Deutschlands Fußballfans. Ein legendärer Auswärtssieg beim Nürnberger Club, bis zu 19.000 Zuschauer im engen Stadion Grüne Au (Hof kam damals auf 55.000 Einwohner!), erneut in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga dabei. Doch statt Sterne erntete man nur Sternschnuppen. In der Aufstiegsrunde traf der FC Bayern ausgerechnet auf den schier unbezwingbaren Wuppertaler SV (siehe Seite 40), und so platzten die Träume vom Oberhaus und der Ablösung des 1. FC Nürnberg als fränkisches Aushängeschild. Drei Jahre später sollte die kleine Stadt im abseitigen Hinterland ein letztes Mal zur brodelnden Fußballhochburg werden, dann war Schluss. Heute ist der FC Bayern Geschichte, geraten all die schönen Geschichten um die Gelb-Schwarzen allmählich in Vergessenheit. Hof, die einst „fußballfreudigste Stadt in der gesamten Bundesrepublik“, scheint abgeschlossen zu haben mit dem großen Fußball.
SCHWIERIGE GRENZLAGE
Egal wie Deutschlands Grenzen im Verlauf der Jahrhunderte auch aussahen: Hof an der Saale war selten in einer sonderlich zentralen Lage. Das östliche Oberfranken, nahe der tschechischen Grenze gelegen und eingerahmt von Frankenwald und Fichtelgebirge, galt immer als Grenzgebiet abseits der großen Zentren. Dennoch war Hof keinesfalls eine verschlafene bäuerliche Gemeinde im Hinterland, sondern seit dem Mittelalter ein attraktiver Industrie- und Handelsstandort. Schon damals hatte sich die Textilindustrie in Form von Manufakturen und Spinnereien angesiedelt. Nachdem 1880 einen Kilometer vor den Stadttoren der neue Hauptbahnhof als Knotenpunkt an der Grenze zwischen Bayern und Sachsen eingeweiht worden war, explodierte die Einwohnerzahl auf etwa 33.000, entwickelten sich Oberfranken und das Vogtland zu einem der Zentren der deutschen Textilindustrie.
Damals entstand auch die östlich der Saale gelegene Fabrikvorstadt als Wohnort für Textilarbeiter, in der den Annalen zufolge am 1. Juni 1910 mit dem Ballspielclub Hof die Urzelle des FC Bayern Hof gegründet wurde. Es war keinesfalls Hofs bzw. Oberfrankens erster Fußballklub. Bereits 1893 war im Turnverein 1861 eine Fußballsektion entstanden, aus der 1903 die Spielvereinigung 1893 Hof hervorgehen sollte, 2005 Fusionspartner des FC Bayern zur heutigen SpVgg Bayern Hof. Aus dem BSC wurde später der FC Britannia, der 1913 ein Gelände auf der „Grünen Au“ pachtete und dort einen Sportplatz errichtete. Als ein paar Straßenfußballmannschaften beitraten und mit Paul Lorenz ein erfahrener Fußballer aus dem benachbarten Vogtland kam, meldete sich der Klub im Verband Mitteldeutscher Ballspielvereine an, wechselte aber noch im Februar 1914 zum Süddeutschen Fußball-Verband. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs legte man den nun nicht mehr oppertunen Namen Britannia ab und nannte sich FC Bayern.
Angstgegner des 1. FC Nürnberg
Nach dem Krieg verdrängten die Gelb-Schwarzen ihren Stadtrivalen SpVgg 1893 aus der lokalen Führungsrolle und wurden zum städtischen Aushängeschild, das vor allem unter der Textilarbeiterschaft verankert war. Nachdem sie mehrfach erst im Entscheidungsspiel den Aufstieg in die höchste Spielklasse verpasst hatten, klappte es 1927 schließlich. Knapp vor Lokalrivale SpVgg 1893 Kreisligameister geworden, avancierte der FC Bayern damit auch spielklassentechnisch zur Nummer 1 in Hof und durfte sich in der Bezirksliga Nordbayern fortan mit Größen wie 1. FC Nürnberg oder SpVgg Fürth messen.
Der Volksmund sprach damals von der „Panzer-Elf“. Das hatte nichts mit der Spielweise der Oberfranken zu tun, sondern nahm Bezug auf Führungsspieler Karl Panzer. Im Hauptberuf Schriftsetzer, war Panzer ein torgefährlicher Mittelstürmer und der Kopf der Erfolgself. Ihm begegnet man auch an anderer Stelle, nämlich als Mitglied der 1920 gegründeten Sängerabteilung des Klubs – und als Texter des Vereinsliedes „Bayern-Treue“.
Unter Trainer Hans Ruff, einst SpVgg Fürth, etablierte sich der Neuling im nordbayerischen Oberhaus und wurde zum Angstgegner des mehrfachen Deutschen Meisters 1. FC Nürnberg. Nach einem Hofer 2:1 in Nürnberg am 25. August 1929 schwärmte der „Kicker“: „Die Sensation im Zabo! Wir wollen ehrlich sein, die Hofer Gäste haben den Sieg verdient“. Mittelstürmer Panzer, über den die „Fußballwoche“ urteilte, er „ist nicht nur ein kolossal kräftig gewachsener Stürmer von großer Durchschlags- und Schußkraft, sondern auch ein geschickter Angriffsführer“, wurde von Reichstrainer Otto Nerz prompt zu einem Lehrgang der Nationalmannschaft eingeladen.
Im Rückspiel bejubelte die neue Hofer Rekordkulisse von 7.000 Fans auf der Grünen Au einen 2:0-Sieg ihrer Elf, die am Saisonende Vierter wurde, während Aufsteiger SpVgg 1893 Hof gleich wieder runter musste. 1931 dann der Höhepunkt, als sich die Hofer im Entscheidungsspiel zur Qualifikation für die Endrunde um die „Süddeutsche“ mit dem VfR Fürth duellierten (1:2). Als die erste Erfolgsära ein Jahr darauf mit dem Abstieg endete, schrieb die „Allgemeine Sport-Schau“ aus Nürnberg: „Beim FC Bayern haben die Träger der größten spielerischen Epoche ihrer Zeit der Jugend Platz gemacht. Doch diese braucht zunächst Erfahrung, bevor sie daran denken kann, die Erfolge der Alten zu wiederholen“. Das erwies sich als richtig, denn in die 1933 gegründete Gauliga Bayern sollten es die Oberfranken nie schaffen. 1934 scheiterten sie in der Aufstiegsrunde knapp am BC Augsburg, 1936 und 1941 war bereits in der Qualifikation zur Aufstiegsrunde Schluss – jeweils gegen den VfB Coburg.
HOF BOOMT – UND DAMIT DER FC BAYERN
Die nächste Erfolgsära begann nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei lag die Textilstadt nun wortwörtlich im Abseits. Die Grenzen zur späteren DDR sowie der wiederbelebten Tschechoslowakei lagen jeweils nur eine Handvoll Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und sollten im Kalten Krieg zum undurchlässigen „Eisernen Vorhang“ werden. Plötzlich hatte Hof an zwei Seiten kein Hinterland mehr. Dennoch erreichte die Stadt 1950 mit 63.871 Einwohnern den Höchststand ihrer Geschichte. Als erste Kommune hinter der Sowjetzone war Hof attraktiv als neue Heimat für viele Vertriebene aus dem Baltengebiet, Schlesien und vor allem dem nahegelegenen Sudetenland. Hof, die Stadt im Abseits, boomte.
Und mit ihr der Fußball. Unter Willy Schäfer, Halblinker der legendären „Panzer-Elf“ und später mit Sepp Herberger bei Tennis Borussia stürmend, blieben die Gelbschwarzen von 1946 bis 1947 in 42 Spielen in Folge ungeschlagen und erreichten die Aufstiegsspiele zur Oberliga Süd. Gegner am 1. Juni 1947 war der FC Wacker München. Über 10.000 Fans füllten die Grüne Au und verzweifelten an ihrem Team, das nach großem Kampf mit 3:4 unterlag. Im Rückspiel machten die Münchner den Sack mit 4:0 zu.
Damals wurde Hof zur oberfränkischen Fußballhochburg, avancierte der FC Bayern zu einem Verein der Region, zu dessen Spielen Fans aus dem ganzen Umland anreisten. Die Atmosphäre auf der Grünen Au war gefürchtet, das Publikum, eine Mischung aus hemdsärmligen Textilarbeitern und assimilierten Ostflüchtlingen, berüchtigt. Zwischen 1948 und 1949 stieg die Mitgliederzahl beim FC Bayern von 456 auf über 1.100, florierte der Klub auf allen Ebenen. Vorsitzender war Heinz Landscheidt, ein 1945 aus Duisburg-Meiderich gekommener Holzgroßhändler, unter dem der FC Bayern großen Ehrgeiz entwickelte. Landscheidt richtete den Blick über die Grenzen Oberfrankens hinaus und lockte Spieler wie den Dresdner Armin Möbius, der 1949 mit dem Taxi aus der DDR geflohen war und eigentlich zur SpVgg Fürth wollte, oder Werner Heinhold aus Gelsenkirchen-Horst. In einer Kampfabstimmung setzte er zudem den Wechsel zum Vertragsspielerfußball durch und ließ 1949 die bis heute zu bewundernde Holztribüne in der Grünen Au bauen.
Das Risiko wurde belohnt. Durchschnittlich 5.000 Fans kamen 1949/50 zu den Spielen der Landesliga Bayern, und regelmäßig dampften Sonderzüge mit Fans der Gelbschwarzen nach Bayreuth, München oder Nürnberg. In der Aufstiegsrunde zur Oberliga hatte man jedoch erneut Pech: Im letzten Spiel gegen das punktlose Schlusslicht Viktoria Aschaffenburg reichte es nur zu einem 2:2, verpasste der FC Bayern die Versetzung ins Oberhaus.
Stattdessen wurde er Gründungsmitglied der 2. Liga Süd, wo die Bayern zunächst nicht über Mittelfeldplätze hinauskamen. Doch längst deutete sich an, dass Hof auf dem Weg zur „fußballfreudigsten Stadt in der Bundesrepublik“ war. 1953 fuhr der FC Bayern mit 15 Omnibussen und unzähligen Privatwagen nach Bamberg, wo 2.000 Hofer ein 1:1 gegen den alten Rivalen FC Bamberg sahen. 1954 rückte dann Georg „Schorsch“ Lindner in den Vorstand auf, aus dem er erst im Oktober 1978 wieder ausscheiden sollte. Unter seiner Ägide wurde die Grüne Au auf 12.000 Plätze ausgebaut und der Fokus auf regionale Talente gelegt. Das war alternativlos, denn in Hof gab es keine großen Geldgeber. Lediglich ein paar kleinere Textilfabriken, Garngroßhändler Dieter Weiske sowie Oberbürgermeister Hans Högn unterstützten den Klub, der vor allem auf Zuschauereinnahmen angewiesen war.
1956 stieß mit dem Fürther Fred Hoffmann ein ehrgeiziger Trainernovize hinzu. Vorsitzender des Spielaussschusses bzw. Liga-Obmann (heute würde man sagen „Manager“) wurde der Ex-Dresdner Armin Möbius, der in Hof bis heute nur „Papa“ genannt wird. Damit war das Erfolgstrio komplett, und am 3. Mai 1959 konnte der Aufstieg in die Oberliga Süd mit einem 1:0-Sieg über Hessen Kassel gefeiert werden. Der FC Bayern Hof war zurück im Fußball-Oberhaus!
VIER GROSSE JAHRE IN DER OBERLIGA
Das löste eine riesige Euphoriewelle in der inzwischen wieder auf 58.000 Einwohner geschrumpften Stadt aus. In der ersten Oberliga-Saison 1959/60 wollten im Schnitt 11.567 Zuschauer die Spiele in der Grünen Au sehen, schlug sich das junge Team trotz einiger Eingewöhnungsprobleme (zweistellige Niederlagen in Frankfurt und Karlsruhe) bemerkenswert erfolgreich. Mit Rang 13 gelang souverän der Klassenerhalt, während es das turbulente 5:3 am 13. September 1959 vor 18.000 Zuschauern gegen den Münchner Namensvetter in die Geschichtsbücher schaffte.
Zwei Spielzeiten später waren die Hofer mit ihrem lauf- und kampfstarken Direktpassspiel etabliert im süddeutschen Oberhaus, gewannen u.a. mit 5:0 beim FC Bayern München und gingen als Tabellensechster durchs Ziel. Es war die Zeit, als die Münchner „Abend-Zeitung“ von Hof als „fußballfreudigste Stadt des Jahres in der gesamten Bundesrepublik“ sprach: „Die Stadt hat nur 58.000 Einwohner, aber 173.000 Personen kamen zu den Heimspielen. Jeder dritte Einwohner war mehr als dreimal auf dem Fußballplatz. In Gelsenkirchen kam im Schnitt nicht einmal jeder Einwohner einmal zu den Heimspielen des FC Schalke 04.“
Tatsächlich stimmte das so nicht, denn der FC Bayern längst kein kein „Hofer“ Verein mehr, sondern ein „Nordfränkischer“. Ob Bayreuth oder Kulmbach, Coburg, Kronach, Weiden – von überall kamen die Fans mit ihren gelbschwarzen Fahnen angereist. Das passte zum Team, denn das Hofer Erfolgskollektiv bestand im Kern aus lokalen Kräften. Spielmacher Walter „Waldi“ Greim und Jugend-Nationalspieler Heinz „Zorro“ Winterling hatten in der Fabrikvorstadt, dem „Vertl“, sogar gemeinsam auf der Straße gekickt. Winterling: „Wir kannten uns von kleinauf, schon von der Schule her“. Dazu kamen Talente aus der Region: Adolf Lindner, den Möbius 1959 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der SpVgg Bayreuth losgeeist hatte, der vom VfB Bayreuth gekommene Regisseur Alfred Horn, Armin Friedrich aus Kulmbach, Günther Reißer aus Oberkotzau, Torwart Horst Läster vom FK Selb, Siegfried Stark aus Lichtenfels. 27 der 31 Spieler, die in den vier Oberliga-Jahren bis 1963 für Bayern Hof aufliefen, kamen aus Hof bzw. Oberfranken. Drei weitere stammten aus dem Rest Bayerns, und nur Manfred Hüneburg kam aus einem anderen Bundesland (Nordrhein-Westfalen, Hamborn 07).
DER TRAUM VON DER BUNDESLIGA
Strippenzieher war Liga-Obmann Armin Möbius („Der blonde Sachse“), dem es immer wieder gelang, Talente auf die Grüne Au zu locken und der dabei unterstützt wurde von Karl Fickenscher, Bäckermeister in Weidenberg bei Bayreuth und mit ausgezeichnetem Auge für Fußball-Talente ausgestattet. Möbius, im Hauptberuf Vertreter einer Ölfirma, machte aus der Hofer Not eine Tugend: „Wir haben uns gesagt: Bleiben wir doch in der Nähe, denn unter den Spielern, die uns von außerhalb angeboten wurden, waren doch viele Pflaumen.“ Auch in der Lokalpolitik hatte der FC Bayern einen exzellenten Stand. Dort saß mit Karl Panzer der Mittelstürmer der legendären Panzer-Elf der 1920er Jahre. Die Stadt Hof lebte ihren FC Bayern.
Als 1963 die Bundesliga eingeführt wurde, schickte man pro forma eine Bewerbung zum DFB, erhielt aber am 11. Januar 1963 die erwartete Ablehnung. Das neue Ziel des nunmehrigen Regionalligisten war klar: Bundesliga. Die erste Zweitligasaison begann mit einer Krise. Gunter Baumann, ab 1960 gefeierter Nachfolger von Erfolgstrainer Fred Hoffmann (Armin Möbius damals: „Wenn es uns gelingt, das konditionsbetonte Training Fred Hoffmanns mit der hohen Fußballschule Gunter Baumanns zu verbinden, dann wird das für uns die ideale Mischung mit der maximal größten Wirkung sein.“), war nach Ulm gegangen, und unter Nachfolger Karl Garatwa stürzte der FC Bayern im Herbst 1963 ans Tabellenende. Liga-Obmann Möbius übernahm, schaffte die Wende, sah sich jedoch im November 1965 vor derselben Situation: Wieder Abstiegskampf statt Bundesligahoffnung. Erneut übernahm Möbius interimsmäßig und führte das Team um den vom B-Klassenklub Tuspo Bayreuth gekommenen Torjäger „Bobby“ Breuer auf Platz 9.
1966 übernahm Heinz Elzner das Training. Der aus Brehna in Sachsen-Anhalt stammende frühere Oberligaspieler (Ulm, Hannover) passte perfekt zum regional ausgerichteten FC Bayern. 1966/67 spielten die Oberfranken vom ersten Tag an um den Titel des Regionalligameisters mit. Hauptkonkurrent war Kickers Offenbach. Vom gefürchteten Bieberer Berg brachten die Bayern ein 3:3 mit. Am 9. April 1967 kam der OFC zum Rückspiel, sahen 19.000 ein 1:1 in der Grünen Au. Am Ende standen beide Teams punktgleich oben, gab das Torverhältnis den Ausschlag für den OFC. Bayern Hof ging als Vizemeister in die Aufstiegsrunde zur Bundesliga. Zum Auftakt kam Westvize Schwarz-Weiß Essen. Hof schwelgte im Fußballfieber: „18.000 Besucher umsäumten das Spielfeld. Die Fans besetzten jedes freie Plätzchen bis an die Auslinie, so dass die Spieler Schwierigkeiten beim Treten von Eckbällen hatten.“ Vor der euphorisierenden Kulisse stürmte die Heim-elf furios, aber glücklos. Endstand: 0:0. In Berlin folgte ein 0:2 vor 70.000 im Olympia-stadion gegen Hertha, ehe es nervenaufreibend wurde: 2:1 gegen Borussia Neunkirchen, 0:3 bei Arminia Hannover, ein eminent wichtiges 3:2 bei Schwarz-Weiß Essen und schließlich ein 2:1 auf der Grünen Au gegen eine allerdings desolat auftretende Berliner Hertha. Plötzlich war die Bundesliga greifbar nahe! Doch drei Spiele in acht Tagen, das war zuviel. Im vorentscheidenden Duell beim späteren Aufsteiger Borussia Neunkirchen setzte es ein 0:4, und als die Bayern dann im Schlussspiel auch gegen Arminia Hannover verloren (1:2), war der Traum von der Bundesliga zerplatzt.
Ein Jahr später war er wieder da. Mit einem 3:0 über Darmstadt 98 war der FC Bayern Hof erstmals Meister der Regionalliga Süd geworden. 85 Treffer hatte die Offensive um „Bobby“ Breuer und Siegfried Stark im Saisonverlauf erzielt. Zum Auftaktspiel der Aufstiegsrunde kamen am 22. Mai 1968 19.100 Fans gegen Rot-Weiss Essen in die Grüne Au, wo Zusatztribünen aufgestellt worden waren. In der 76. Minute überlistete Willi „Ente“ Lippens die spielbestimmenden Gastgeber und markierte eiskalt Essens Siegtreffer. Mit dem anschließenden 1:3 bei Göttingen 05 zerschlugen sich die Bundesligaträume diesmal viel zu früh. Anschließend wechselte Erfolgscoach Elzner zum VfR Mannheim.
HISTORISCHE REISE NACH ISRAEL
Es folgten drei schwächere Jahre, und 1970/71 kämpfte der FC Bayern sogar gegen den Abstieg. Sofort reagierte das Publikum, kamen nur noch knapp 5.000 Zahlende, wo zuvor ständig 7.000 und mehr ihren Obolus gezahlt hatten. Fast 17.500 waren am 10. April 1970 indes Zeuge der ersten Niederlage von Ex-Bundesligist 1. FC Nürnberg im 27. Saisonspiel. „Hof hat es geschafft. Die tollste Siegesserie, die es je im bezahlten deutschen Fußball gegeben hat, ist zu Ende“, schrieb der „Kicker“ nach dem 2:1 auf der Grünen Au.
Ein Jahr zuvor hatte der FC Bayern Sportgeschichte geschrieben, als er als erster deutscher Fußballklub seit Ende des Zweiten Weltkriegs nach Israel gereist war. Dort gewann man mit 2:0 gegen eine Regionalauswahl. Viel wichtiger war jedoch die enorme Symbolwirkung, dass 24 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs erstmals eine deutsche Fußballmannschaft auf israelischem Boden auflief – noch dazu in Naharija, einer Stadt, die von Überlebenden des Holocaust gegründet worden war. Die Reise war von zwei Hofern in die Wege geleitet worden: Dem jüdischen Unternehmer Oskar Weissmann sowie FC-Bayern-Vorsitzenden Franz Anders. 1970 kam eine israelische Mannschaft zum Gegenbesuch nach Hof, und im selben Jahr absolvierte Borussia Mönchengladbach ein viel beachtetes Trainingslager in Israel.
Die Saison 1971/72 begann mit einem berauschenden 7:0 über Hessen Kassel. Trainer war nun Herbert Wenz, im Team standen Männer wie Reinhard Franz, Rudolf Fichtner, Gisbert Eser, Ludwig Schuster, Werner Seubert, Goalgetter „Bobby“ Breuer sowie Außenstürmer Reinhard Lippert. Wieder war Offenbach Hofs Konkurrent um die Meisterschaft in der Regionalliga Süd. 17.000 sahen am 22. April 1972 ein 2:2 im direkten Duell auf der Grünen Au. Als Vizemeister ereichte der FC Bayern zum dritten Mal die Bundesliga-aufstiegsrunde. Startete mit einem furiosen 3:1 vor 18.000 Fans über Südwestmeister Borussia Neunkirchen. „Meine Spieler haben einen begeisternden Fußball voller Tempo und Spielwitz geboten“, jubelte Trainer Wenz. Doch es gelang nicht, die glänzende Form zu konservieren. In Wuppertal verlor Hof 0:2, und als die Bayern ihr nächstes Aufstiegsspiel gewannen – 6:0 gegen Tasmania Berlin –, waren sie längst abgeschlagen.
Anschließend wechselte der seit Jahren umworbene Torjäger Breuer zum FC Wacker Innsbruck nach Österreich. Der bodenständige und introvertierte Stürmer mit der stets perfekt gefönten Frisur war die Galionsfigur der goldenen Jahre des FC Bayern. In 221 Spielen zwischen 1965 bis 1972 erzielte er 156 Tore und war damit der erfolgreichste Torjäger der Regionalliga. Sein Verlust steht zugleich für ein Hofer Dilemma, denn die größte Geldquelle, die dem FC Bayern neben Zuschauereinnahmen zur Verfügung stand, waren Transfererlöse. Liga-Obmann Möbius galt diesbezüglich als knallharter Verhandler, der stets das Maximum herausholte.
DER NIEDERGANG BEGINNT
Allmählich neigte sich die Erfolgsära ihrem Ende zu, und der schleichende Niedergang begann. Letzte Regionalliga-Höhepunkte waren ein 3:0 beim 1. FC Nürnberg am 18. November 1972, dem ersten Hofer Sieg beim übermächtigen Rivalen seit über 40 Jahren, sowie die Qualifikation zur zweigleisigen 2. Bundesliga 1974. Gegen deren Einführung hatte man sich in Hof übrigens vehement gewehrt. Vorsitzender Peter Scherdel, Inhaber einer Privatbrauerei, orakelte düster: „Aus den Mitgliedsbeiträgen können wir die erhöhten Kosten nicht decken. Wir sind deshalb auf die Unterstützung der Wirtschaft und der Stadt Hof angewiesen.“
Im ersten Zweitligajahr spielten die Gelbschwarzen unter dem zurückgekehrten Heinz Elzner in der Spitze mit und feierten erneut ein 3:0 über den Club. Am 8. Juni 1975 kam es im Münchner Olympiastadion zum Gipfeltreffen gegen den TSV 1860. 70.000 Zuschauer, darunter 3.000 Hofer, hofften auf Platz zwei hinter Meister Karlsruhe. Das 0:0 war eine Steilvorlage für den FC Bayern, der in seinem letzten Spiel gegen Darmstadt 98 nur noch gewinnen musste, um die Bundesliga-Aufstiegsspiele gegen den Nordvize zu erreichen. 16.000 in der Grünen Au verzweifelten an ihrer nervös und hektisch auftretenden Mannschaft, die mit 1:2 verlor. Nie wieder sollte der FC Bayern Hof danach ans Tor zur Bundesliga klopfen.
Im Gegenteil. Mit Ludwig Schuster gab man erneut einen Leistungsträger ab, der für 400.000 DM zum großen FC Bayern nach München ging. Die Einnahme tat der Kasse zwar gut (Möbius: „Mit dem Geld haben wir die Mannschaft zwei Jahre lang finanziert“), der sportliche Verlust aber wog schwer. Zudem war im 60 Kilometer entfernten Bayreuth ein spielstarker Konkurrent erwachsen, der mit dem FC Bayern um die Gunst der Fans in der Region buhlte. So kam, was kommen musste. Am 27. Mai 1978 betrauerten 8.000 Fans einen 4:0-Derbysieg über den 1. FC Nürnberg, der nicht zum Klassenerhalt in der 2. Bundesliga Süd reichte, weil Kontrahent KSV Baunatal zeitgleich gegen Kickers Offenbach gewonnen hatte. Der FC Bayern Hof war nur noch drittklassig.
Hof geriet aber nicht nur sportlich ins Abseits. Die regionale Textilindustrie steckte im umwälzenden Strukturwandel der sich öffnenden Weltmärkte, und die Grenzlage mit ihren durch den Eisernen Vorhang eingeschränken Möglichkeiten band Wirtschaft wie Politik die Hände.
Zwei Jahre später verschwanden die Gelbschwarzen selbst aus der Bayernliga. Mit über 800.000 DM verschuldet, musste die Grüne Au 1980 an die Stadt verkauft werden, kamen erstmals Forderungen nach einer Fusion mit der SpVgg 1893 auf. Noch blieben die Fans zwar treu, doch der FC Bayern sollte nie zu alter Kraft und Stärke zurückkehren. Das lag nicht zuletzt an ständigen Unruhen auf der Führungsebene, aus der bereits 1977 mit Armin Möbius jener Mann nach 22 Jahren ausgeschieden war, ohne den alles wohl nie möglich gewesen wäre. Möbius beklagte, die Stadt habe die Bedeutung des FC Bayern nie verstanden. Tatsächlich hatte der Fußball die kleine Stadt im Hinterland überall in Deutschland bekanntgemacht.
1981 gab Vorsitzender Peter Augsten, Mitbesitzer eines Bauunternehmens, „alles oder nichts“ aus, denn „wir haben in der letzten Landesligasaison 80.000 Mark draufbezahlt.“ Als sich abzeichnete, dass es mit der Rückkehr in die Bayernliga nichts werden würde, trat er zurück. Finanzielle Probleme, interne Streitigkeiten und sportliche Tristesse dominierten weiter die Geschicke des Vereins. Nur selten gab es Grund zum Jubel. Am 28. Mai 1983 immerhin feierten 4.000 Zuschauer ein 3:0 gegen den TSV Unterpleichfeld und damit die Rückkehr in die Bayernliga. Doch dann ging Aufstiegstrainer Lorenz-Günter Köstner, aus Wallenfels bei Kronach stammend, und ohne ihn durchlitt die ausgedünnte Fanschar 108 sieglose Tage. Letzte längere Phase im bayerischen Oberhaus war der Zeitraum 1994 bis 2004, als man immerhin dreimal Vierter wurde.
FUSION MIT DER SPIELVEREINIGUNG
2005 dann der historische Einschnitt. Zum 1. Juli führte eine umstrittene Vereinigung mit der Spielvereinigung 1893 zur SpVgg Bayern Hof. Hintergrund war nicht zuletzt die gute Jugendarbeit der „Spotzer“, denn Nachwuchspflege, einst Garant für die Erfolge, hatte auf der Grünen Au schon länger nicht mehr auf der Agenda gestanden. Über den Erfolg der Fusion gehen die Meinungen 15 Jahre später weit auseinander. Von der Spielvereinigung, immerhin ältester Klub in Oberfranken, ist jedenfalls nur noch im Namen und dem leicht veränderten Klubwappen etwas zu sehen. Anhänger brachte man ohnehin nicht mit, und die aktiven Fans der Bayern nehmen den Namen „SpVgg Bayern“ nur selten in den Mund, sondern sprechen weiter vom „FC Bayern“ oder gleich provokativ vom „FC Britannia“, dem Klubnamen vor dem Ersten Weltkrieg.
Sportlich brachte der Zusammenschluss 2006 die Rückkehr in die Bayernliga, wo man sich 2011 in einem legendären Entscheidungsspiel gegen die SpVgg Bayreuth in die Relegation rettete und dort den Klassenerhalt verbuchte. Ein Jahr später zog das Team um Torjäger Cem Ekinci als Vizemeister überraschend in die neue Regionalliga Bayern ein. Doch das Halbprofilager war eine Nummer zu groß. 2013 in der Relegation gegen den TSV Großbardorf noch gerettet, ging es 2014 zurück in die Oberliga. Der bislang letzte Regionalligaausflug datiert aus dem Jahr 2016/17 (drei Siege in 34 Spielen), und angesichts der wirtschaftlichen Probleme sowie der zurückgehenden Zuschauerzahlen fällt eine Prognose zur Zukunft der SpVgg Bayern Hof nicht allzu hoffnungsvoll aus.
Was bleibt, ist noch immer das Stadion Grüne Au im Arbeiterquartier Fabrikvorstadt, dem „Vertl“. Die einstige Bühne Hofer Fußballfestspiele ist gern bereistes Ziel von Fußballromantikern, die dort ein Areal voller Charme vorfinden, das mit seiner Holztribüne aus dem Jahr 1949 und einem eigentümlichen Tribünenfragment auf der Gegengeraden von großen Plänen erzählt, die man in Hof einst hatte. Hochklassigen Fußball wird es hier, so ist zu befürchten, nicht mehr geben – das dürften schon die DFB-Auflagen verhindern.
Und so wird der Ruf der Hofer Bayern über 40 Jahre nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga langsam zum Mythos, schütteln sie selbst in der alten Textilstadt, die seit 1989 wieder mitten im Europa der offenen Grenzen liegt, ungläubig die Köpfe, wenn die Rede darauf kommt, dass Hof dereinst ans Tor zur Bundesliga klopfte, die „fußballfreudigste Stadt der Bundesrepublik“ war und bis zu 19.000 auf die Grüne Au pilgerten. Hofs Fußballschicksal steht exemplarisch für die regionale Kraft und Bedeutung, die lokaler Fußball vielerorten über Jahrzehnte hatte und die er im „modernen“ Fußball einbüßte. Geht man heute durch Hofs Innenstadt, findet man dort zwar neben FCN-Fans auch viele des FC Bayern, doch es ist der falsche.
ZEITSPIEL Legenden Fußballvereine, Band 1
176 Seiten, 17 x 24 cm, Paperback, ca. 150 Abbildungen
Edition Zeitspiel, Zeitspiel-Verlag
ISBN: 978-3-96736-005-9