ZEITSPIEL Legenden: Fußballvereine
Fußballgeschichte wird an vielen Orten geschrieben. Die Buchreihe "ZEITSPIEL Legenden" erzählt sie flächendeckend und lokal. Wie es war, wie es wurde, wie es heute ist. Ausführliche und kenntnisreiche Vereinsporträts von der Gründung bis in die Gegenwart. Geschrieben von ausgewiesenen Kennern, stark bebildert, emotional, bereichernd.
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Vorwort Band 2
Fußballgeschichte ist Erinnerung und konservierte Zeitgeschichte. Im zweiten Band der „ZEITSPIEL-Legenden“ werden ein paar Klubs porträtiert, bei denen jüngere Zeitgenossen berechtigt fragen, wer denn das sei. Das ist das Wesen von Fußballgeschichte, und das ist der Kern unserer Buchreihe: Fußball und seine Vergangenheit in ganzer Breite und Tiefe darzustellen – auch mit aus der Zeit gefallener Klubs.
Fußball als Zeitgeschichte bildet die Bedingungen der Zeit ab und erzählt ihren Wandlungsprozess. Dass ein Klub wie der Wattenscheider Stadtteilverein SV Höntrop in den 1930er Jahren Zehntausende Fans anlockte und zum Rivalen des FC Schalke 04 aufstieg, ist ein solches Beispiel. Damals funktionierte Fußball lokal, bildete jeder Verein seinen eigenen Nachwuchs aus, der in der fußläufigen Umgebung lebte. Wo heute Zwölfjährige mit dem ICE zwischen ihrem Wohnort und dem Trainingszentrum eines Bundesligisten pendeln, gingen Zwölfjährige in den 1930er Jahren zu Fuß zum Training und freuten sich, wenn ihr Verein mal ein paar Schuhe springen ließ, weil das Talent Anlass zur Hoffnung gab. Bis in die 1950er Jahre herrschte dadurch eine personelle und regionale Kontinuität, von der heute nicht mehr viel zu sehen ist.
Alemannia Aachen beispielsweise war stets ein Verein, der seine Spieler aus der Region holte und Wert auf Identifikation mit dem Grenzland legte. Namen wie Reinhold Münzenberg, Jupp Martinelli, Jo Montanes oder Günter Delzepich stehen dafür. So schaffte man es 1967 in die Bundesliga, und so kickte man 2004 sogar im Europapokal. Mit der Rückkehr in die Bundesliga brach 2006 der „große“ Fußball über Aachen herein. Der Tivoli, die ikonische Herzkammer des Klubs, wurde aufgegeben. Die Alemannia stürzte ab.
Einen anderen Weg ging man in Reutlingen, einer Provinzstadt, in der engagierte und vermögende Patriarchen ihre Träume erfüllen wollten. Schon in den 1950er Jahren lockte der SSV 05 Ausnahmekicker aus dem ganzen Land an, denn die regionalen Talente reichten nicht, um den Klub in der Spitze zu etablieren. Geklappt hat es jedoch immer nur kurzzeitig, nie dauerhaft – denn dafür war Reutlingen dann doch wieder zu klein und hatte in entscheidenden Momenten zudem schlicht Pech.
Ein weiteres Attribut dieser Buchreihe ist die Verbindung von Fußball und Sozialgeschichte. In Bremerhaven, einer Stadt mit schwierigem sozialen Umfeld, bildete man 1973 einen Großverein, der mit neuem Stadion im Rücken nach oben kommen sollte. Doch die Verantwortlichen ignorierten die emotionale Bedeutung von Tradition. Sie tauschten den Namen Bremerhaven 93 gegen ein nichtssagendes „Olympischer Sportclub“, gaben das kultige Zolli-Stadion auf und schufen eine Betonarena ohne Atmosphäre. Zudem ließen sie die Hoffnung auf Etablierung allzu schnell fallen, denn der neue Großverein kümmerte sich lieber um den Breitensport. Konsequenz: Heute ist Bremerhaven Fußballprovinz.
FSV Glückauf (BSG Aktivist) Brieske-Senftenberg
Zwei gekreuzte Hämmer im Wappen, „Glückauf“ im Namen – schon der erste Blick verrät viel über den FSV Glückauf Brieske/Senftenberg, einem mythenumrankten Kumpelklub mit goldener Vergangenheit. Was er nicht verrät, ist die am Ende tragische Geschichte der kleinen Lausitz-Gemeinde, die eine Zeitlang als das „Schalke des Ostens“ galt und später in die Mühlen der Politik geriet.
MARGA: DIE GARTENSTADT AUS DER RETORTE
Drehen wir die Zeit zurück ins Jahr 1907. Damals wurde unweit des Dorfes Brieske, in der Lausitz südlich von Senftenberg gelegen, ein Tagebauaufschluss vorgenommen. Um die Kumpel, die oft von weit her kamen, unterzubringen, entstand eine der ersten Gartenstädte Deutschlands. Gartenstädte nach englischem Vorbild waren der letzte Schrei im sich rasant industrialisierenden Reich, die eine Verbindung zwischen Wohnen, Arbeit und Freizeit schaffen sollten. Das Leben konzentrierte sich um einen Marktplatz mit Kirche, Verwaltungsgebäuden und Einkaufsmöglichkeiten. Die kleinen Kumpelhäuser waren von Kleingärten umgeben und befanden sich in Laufdistanz von Markt- wie Arbeitsplatz. Ein echtes Arbeiterparadies.
Brieskes Gartenstadt für etwa 3.000 Kumpel erhielt den Namen „Marga“, nach der gleichnamigen Tagebaugrube. Deren Name wiederum ging zurück auf eine früh verstorbene Tochter von Generaldirektor Gottlob Schumann, dessen „Ilse“-Bergbau A.G. in der ganzen Senftenberger Region Tagebau betrieb. Eine weitere Tochter hieß Brigitta und gab ihren Namen jenen charakteristischen Kohlebriketts, die zunächst im Deutschen Reich und nach dem Zweiten Weltkrieg dann in der DDR die Wohnstuben erwärmten. Während „Brigitta“ noch in den 1980er Jahren vom aus der Region stammenden Liedermacher Gerhard Gundermann hymnisch besungen wurde, nahm Marga 1950 den Namen des naheliegenden Dorfes Brieske an und wurde zu „Brieske-Ost“.
Zu diesem Zeitpunkt waren Margas Kumpelkicker längst landesweit bekannt. 1919 war mit dem FV Grube Marga ein erster Verein entstanden, der sich klassenbewusst dem Arbeiter Turn- und Sportbund (ATSB) angeschlossen hatte. Aus allen Teilen Deutschlands, dem polnischen Schlesien, Böhmen sowie Österreich strömten junge Männer in die Lausitz, wo sie als Landarbeiter oder Tagelöhner Jobs fanden. Viele wurden sesshaft, während der Fußball willkommene Ablenkung von den harten Schichten im Tagebergbau schenkte. Das erste Spiel endete mit einem 2:1 in Laubusch, damals noch „Grube Erika“. Im September 1920 wechselten die Margaer zum bürgerlichen DFB, und 1923 gab es in der 3.000-Einwohnergemeinde bereits jeweils zwei Männer, Jugend- sowie Schülermannschaften. Margas Schlackeplatz, unweit der Brikettfabrik gelegen, wo die „Brigittas“ direkt aus dem abgebaggerten „Schwarzen Gold“ gepresst wurden, war gefürchtet, und dem Publikum wurde eine rustikale Note nachgesagt. Selbst die Frauen genossen, so heißt es in der Klubchronik, großen Respekt, wenn sie mit Stöcken bewaffnet am Spielfeldrand lauerten. Marga, einig Fußballdorf!
Dann kamen Wirtschaftskrise, Arbeitskämpfe und Streiks, schließlich Abwanderung. 1925 stellte der FV Grube Marga seinen Spielbetrieb ein. Ein von einem lokalen Zigarrenhändler gegründeter Nachfolger mit dem Namen „Glückauf“ entstand, trat dem DFB bei, schlief aber nach drei Jahren wieder ein. Fortan bot nur noch die deutschnationale Viktoria 09 Leibesübungen – aber keinen Fußball – in Marga an. Erst im Februar 1928 gelang es, mit der Freien Spielvereinigung Sturm Marga einen dauerhaften Nachfolger zu installieren, der wie einst der FV Grube im Arbeitssportlager spielte und wie das große Vorbild Schalke 04 in Königsblau auflief. 1932/33 gewann die Elf um die Brüder Erich und Otto Lehmann vor 1.500 Zuschauern – der Hälfte aller Einwohner! – gegen die FT Cottbus die Kreismeisterschaft (5:1), fegte anschließend die FT Danzig-Langfuhr mit 8:0 vom Feld und setzte sich am 9. April 1933 im Finale um die Ostdeutsche ATSB-Meisterschaft auch gegen die FT Stettin-Sydowsaue durch (4:2). 4.000 Zuschauer waren auf dem neuen Sportplatz an der Spremberger Straße in Senftenberg dabei.
Es sollte jedoch das letzte Spiel der Margaer Knappen gewesen sein. Noch im April zerschlugen die Nationalsozialisten die Arbeitersportbewegung, verschleppten viele Funktionäre in Konzentrationslager und forderten von jedem Sportler zwei bürgerliche Bürgen, wenn sie bei einem DFB-Verein weiterspielen wollten. Anstelle der zerschlagenen FSV Sturm entstand der SV Marga, der in der untersten DFB-Liga neu anfangen musste. Auf ihrem 1935 eröffneten Sportplatz an der Badeanstalt – der heutigen Elsterkampfbahn des FSV Glückauf – legten die nunmehr „bürgerlichen“ königsblauen Knappen einen fulminanten Aufschwung hin. 1935 standen sie erstmals vor dem Aufstieg in die Gauliga Berlin-Brandenburg, die schließlich 1941 im dritten Anlauf erreicht wurde. Der kleine Provinzverein spielte im Konzert der großen Teams aus der Reichshauptstadt!
Und schlug sich mehr als achtbar. Im ersten Gauligajahr ging die kampfstarke Elf um Edeltechniker Erich Lehmann siebenmal als Sieger vom Feld und war vor allem auf eigenem Platz kaum zu bezwingen. Selbst Tennis Borussia musste sich in Marga mit einem 1:1 begnügen. Platz sechs im Aufstiegsjahr 1941/42 folgte allerdings der Abstieg in der Saison 1942/43, die bereits stark von den Kriegsereignissen beeinträchtigt war.
SCHWERPUNKTKLUB „AKTIVIST“
1945 entstand als Nachfolger zunächst das Sport- und Kulturkartell Brieske Grube Marga, aus dem 1946 die Sportgruppe Marga hervorging, die 1948 nach Umstellung auf Betriebssport den Namen BSG Franz Mehring erhielt. Der 1919 verstorbene Namensgeber des Braunkohlenbrikettwerks war einer der bedeutendsten Autoren zur Geschichte der Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung, der u.a. eine wichtige Biografie zu Karl Marx verfasst hatte. 1949 qualifizierten sich die Blau-Weißen für die Ostzonenendrunde (0:4 im Viertelfinale gegen Eintracht Stendal) und wurden Gründungsmitglied der DDR-Oberliga, wo sie 1949/50 mit einem sensationellen 4:3 beim amtierenden Ostzonenmeister Halle starteten und am Ende als Sechster einliefen. Das kleine Marga war wieder da!
1950 wurde aus der Gartenstadt Marga Brieske-Ost und aus der BSG Franz Mehring Marga die BSG Aktivist Brieske-Ost. Die kleine Kumpelgemeinde stand nun vor den größten Fußballtagen ihrer Geschichte. Von der alten ATSB-Mannschaft war noch immer Erich Lehmann dabei, als sie 1950/51 vor durchschnittlich 7.235 Zahlenden aufspielte und Fünfter im DDR-Oberhaus wurde. Margas Erfolgsrezept bestand vor allem aus Kollektiv- und Kampfgeist. Das ab 1952 vom früheren Dresdner Meisterspieler Willi Schober, stets mit dem Fahrrad unterwegs, trainierte Team wurde republikweit zum Gesprächsthema. Nach einem Freundschaftsspiel gegen Hertha BSC baggerten 1951 sogar vom Ostflüchtling Bachmann angestiftete Westberliner Funktionäre um die Briesker Leistungsträger, die jedoch in der DDR blieben. Zwei Jahre später öffnete das neue Glückauf-Stadion am Rande der alten Gartenstadt seine Pforten. Längst war der Dorf- und Kumpelklub wie dereinst Schalke im Ruhrgebiet zum Regionalverein geworden, der seine Fans in der ganzen Westlausitz hatte. 33.000 Zuschauer sahen bei der Eröffnung gegen Torpedo Moskau trotz 0:5 ein Spiel, das begeisterte.
1954 entstanden republikweit Sportvereinigungen („SV“), die entlang der Berufsgruppen Schwerpunktklubs bildeten. Der Bergbau-Zweig „Aktivist“ wählte Brieske-Ost als seinen Fußball-Leistungsschwerpunkt und verselbständigte die Oberligamannschaft als SC Aktivist Brieske/Senftenberg. Damit wechselten nicht nur die Klubfarben zum Schwarz-Gelb der SV Aktivist, sondern es begann eine Verbindung von Briesker und Senftenberger Fußball, die nicht immer harmonisch ver-lief – ungewollt zu erkennen am Schrägstrich statt des üblichen Verbindungsstrichs zwischen den beiden Ortsnamen. Die Kreisstadt Senftenberg hatte eine wichtige Rolle im frühen Entwicklungsprozess der DDR gespielt. Am 24. März 1946 war es im dortigen Gesellschaftshaus zur historischen Vereinigung von KPD und SPD zur SED gekommen, und in den 1950er Jahren wurde Senftenberg zur „Energiezentrale“ des Landes, die ein stetiges Bevölkerungswachstum registrierte.
Davon profitierte man auch in der ehemaligen Gartenstadt Marga. Mit Unterstützung der SV Aktivist und dank des guten Talenteblicks von Trainer Schober rückten Spieler wie Hans Jünemann, Karl-Heinz Bergmann, Harry Ratsch, Heinz Krüger, Gerhard „Jumbo“ Marquardt sowie Lothar Gentsch in das Oberligakollektiv auf, stellte der SC Aktivist mit Heinz Lemanczyk, Horst Franke und Heinz Krüger sogar drei DDR-Nationalspieler. Ihren Höhepunkt erreichten die Schwarz-Gelben 1956, als das Team um Kapitän Harry Ratsch sensationell Vizemeister wurde. Zwei Punkte fehlten am Ende auf Meister Wismut Karl-Marx-Stadt, den die Briesker Kumpel im Spitzenduell am 27. Mai 1956 mit 2:1 auf eigenem Geläuf geschlagen hatten. Die ganze Lausitz war verzaubert, und über 9.000 Fans kamen durchschnittlich zu den Heimspielen ins Glückauf-Stadion an der Briesker Straße. „Der Kohlenstaub ist für Brieske so charakteristisch wie für London der Nebel“, schrieb eine Fachzeitung damals über das Fußballdorf Brieske.
Es war das goldene Jahr der Briesker Fußballgeschichte. Ein Jahr später, Trainer Schober war aus Verärgerung über einige Funktio-näre zu Drittligist Stahl Eisleben gewechselt, kamen nur noch 4.500, und auch 1958, als die Aktivist-Elf mit Platz drei erneut ganz oben dabei war, zahlten lediglich 5.000 pro Spiel ihren Obolus. Hintergund war nicht zuletzt die Verlegung des Vereinssitzes in die Kreisstadt Senftenberg, was in Brieske-Ost großen Unmut ausgelöst hatte. Zumal altgediente Funktionäre von, wie es in der Chronik heißt, „fremden Funktionären der Sportvereinigung Aktivist“ abgelöst worden waren – darunter Kurt Michalski, später Generalsekretär des DFV der DDR. „Nach und nach ging vieles vom ‚alten Briesker Geist‘ verloren“, schreibt die Chronik, „nahmen wie überall in der DDR materielle, profihafte Gebaren Einzug in das Sportleben. Immer öfter wurde dazu der Gedanke verbreitet, dass der Club sowohl aus ökonomischen wie auch aus politischen Gründen in die Bezirksstadt verlegt werden müsste“. Das wiederum war Cottbus, womit die Kumpels nicht mehr nur um Name und Führung, sondern sogar um ihren Klub bangen mussten.
Statt sich um die sportliche Entwicklung und die fällige Verjüngung der Oberligamannschaft zu kümmern, kämpfte man plötzlich ums Überleben. „In Brieske/Senftenberg wehrte man sich verzweifelt gegen den Leis-tungsverfall, den drohenden Abstieg, die Verlegung nach Cottbus“, schreibt die Chronik: „Es gab Aussprachen, Zeitungsartikel, Auseinandersetzungen. Man forderte mehr Kontakt zwischen Zuschauern, Spielern und Leitung – Besinnung auf die alten Briesker Traditionen.“ Im Januar 1963 richtete der abgesetzte langjährige Fußball-Sektionsleiter Werner Riska eine Eingabe an den Staatsrat der DDR, in der er von „Empörung in breiten Kreisen der Bevölkerung unseres Bergarbeitergebiets, besonders aber bei den Einwohnern von Brieske und den Kumpels des Braunkohlenwerkes Franz Mehring“ sprach: „Diese Empörung richtet sich sowohl gegen die in unserer Sportbewegung noch immer ausgeübte Methode des Kommandierens und Administrierens, die seit Jahren ein Haupthindernis für die kontinuierliche und zielgerichtete Entwicklung des Leistungssports in unserer Republik ist, sie richtet sich aber hauptsächlich dagegen, dass mit der Wegnahme der Fußball-Oberligamannschaft die schwere und erfolgreiche Arbeit vieler Sportler, Funktionäre und Werktätiger in Brieske/Senftenberg völlig negiert, eine jahrzehntelange Tradition des Fußballsports zerstört und Tausenden von Kumpeln aus der Braunkohlenindustrie ein wesentliches Mittel der Freude und Entspannung nach schwerer Arbeit genommen wird.“ Unterschrieben war die Eingabe von elf Spielern der Oberligamannschaft. Das war eine mutige und nicht ungefährliche offene Kritik.
VERLEGUNG NACH COTTBUS
Die Antwort aus Berlin beschränkte sich auf ein „Warten Sie weitere Nachrichten ab“, doch als Riska wenig später „parteimäßig“ zur Verantwortung gezogen wurde, weil er das Publikum als Stadionsprecher zum Protest aufgerufen hatte, waren die Würfel gefallen. Am 14. Juli 1963 wurde die SC Aktivist Brieske/Senftenberg nach Cottbus verlegt und dem neugegründeten SC Cottbus angeschlossen, aus dem 1966 der heutige FC Energie hervorging. Mit in die Bezirkshauptstadt wechselte der Startplatz in der zweitklassigen Liga, in die das Aktivist-Kollektiv 1962/63 mit lediglich sechs Siegen in 26 Spielen abgestiegen war. Die Minuskulisse von 2.100 Zuschauern pro Spiel verdeutlichte, was die Briesker Kumpel von der Entwicklung hielten: Nichts!
In der Gartenstadt rückte nun die alte BSG Aktivist Brieske-Ost wieder ins Blickfeld, womit auch eine Rückkehr zum blauweißen Spielkleid verbunden war. Unter Ex-Oberligaspieler Heinz Auras war man bereits 1958, als die Diskussion um die Verlegung nach Cottbus noch weit entfernt gewesen war, in die Bezirksklasse aufgestiegen und hatte den Bezirkspokal gewonnen. 1959 erreichte Brieske-Ost die Bezirksliga Cottbus-West. 1963/64, im ersten Spieljahr nach Delegierung des SC Aktivist nach Cottbus, wurde die BSG unter dem zurückgekehrten Willy Schober Staffelsieger und erreichte in der Aufstiegsrunde mit einem Sieg bei Chemie Böhlen die Versetzung in den Oberligaunterbau. Damit kam es wenige Monate nach der umstrittenen Verlegung zum Ligaduell zwischen BSG Aktivist Brieske-Ost und SC Cottbus.
„Der Euphorie folgte die Ernüchterung!“, schreibt die Klubchronik. Ganze vier Siege, zwei 0:3-Derbyniederlagen und Enttäuschung auf breiter Linie standen am Ende der gemeinsamen Liga-Saison 1964/65, an dem Brieske-Ost in die Bezirksliga abstieg und Cottbus Vizemeister wurde. Für Aktivist wurden die Zeiten hart. Erst mit der Ligareform 1971, als aus zwei Zweitligastaffeln fünf wurden, konnten die Blau-Weißen in die Liga zurückkehren, verfehlten jedoch 1971/72 abermals den Klassenerhalt. Passend dazu endete auch die Bergbauära in Brieske. Bereits 1967 war der Tagebau geflutet worden, entstand der Senftenberger See, der heute ein beliebtes Naherholungsgebiet auch für die Gartenstadt Marga ist. Die Brikettfabrik indes blieb zunächst aktiv und produzierte noch bis zur Wende „Brigittas“.
VERSCHMELZUNG MIT SENFTENBERG
Es kam noch schlimmer für Brieskes Kumpelkicker. Bereits 1968 war aus mehreren Teilbetrieben das Großkombinat VE BKK Senftenberg entstanden, dessen Leitung in Senftenberg residierte und das nach Ansicht der Funktionäre eine leistungsfähige Sportgemeinschaft benötigte. Im Februar 1972 wurden die rivalisierenden Nachbarn BSG Aktivist Brieske-Ost und BSG Aktivist Senftenberg zur BSG Aktivist Brieske/Senftenberg vereint, die nun wieder in Schwarz-Gelb spielte und deren Start vom erwähnten Liga-Abstieg überschattet wurde.
„Die Ligazugehörigkeit sollte umgehend und möglichst dauerhaft gesichert werden“, heißt es in der Chronik über die anschließenden Pläne und Hoffnungen: „Dies musste einhergehen mit einer systematischen Verbesserung der materiellen Bedingungen. Dafür standen aus dem fußballinteressierten Leitungskreis des neu gebildeten Großkombinats großzügige Zuwendungen bereit. In Brieske zogen verschleierte Profibedingungen ein. Die Spieler wurden in einer Arbeitsgruppe zusammengestellt, um den reibungslosen Trainingsbetrieb auch tagsüber abzusichern. In Gehalt und Rahmenbedingungen standen sie für damalige Verhältnisse gut da, es war interessant geworden, in und für Brieske Fußball zu spielen.“ Gefüllte Geldbörsen statt Kumpelgeist in der alten Gartenstadt.
Erfolg brachte es nicht, denn über die Rolle einer Fahrstuhlmannschaft zwischen Bezirksliga und Liga kam die BSG Aktivist Brieske/Senftenberg bis zur Wende nicht hinaus. Vier Aufstiegen zwischen 1973 und 1989 standen vier Abstiege gegenüber. Weder unter Langzeittrainer Heinz Auras noch unter Ex-Oberligaspieler Harry Ratsch, der 1980 den Übungsleiterstab vom verstorbenen Auras übernahm und auch die Nachwuchsabteilung führte, vermochte sich das Team um Torjäger Franz Vogel und den wieselflinken Außenstürmer Peter „Stiftel“ Gajewski im Oberligaunterbau zu etablieren. Nur im Nachwuchsbereich machten sich die Lausitzer einen Namen, brachten Spieler wie Schuppan, Leuthäuser, Stobernack und Hoffmann hervor und begrüßten am 19. Mai 1981 sogar die DDR-Nationalmannschaft zu einem Freundschaftsspiel gegen Kuba im Glückauf-Stadion an der Briesker Straße.
Sportlich durchlief die ehemalige Kumpelelf ein Wellental. 1974 träumte sie als Vizemeister in Staffel D von der Oberliga-Aufstiegsrunde – und stieg in der Folgesaison ab. 1982 kam mit Platz drei erneut Hoffnung auf, der 1984 mit Rang fünf die hauchdünne Qualifikation für die neue zweigleisige Liga folgte. Mit Hans Säckel kam daraufhin ein erfahrener Trainerfuchs nach Senftenberg. Als Säckel 1985/86 nach einer ansprechenden Hinrunde aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste, übernahm Peter Prell, langjährige Trainerlegende der BSG Aktivist Schwarze Pumpe. Prell startete mit einem 1:8 in Babelsberg und fand sich am Saisonende mit seinem Team auf einem Abstiegsplatz wieder.
Aufregung gab es zudem um Ex-Nachwuchsspieler Andreas Leuthäuser, der nach einem persönlichen Schicksalsschlag Energie Cottbus verlassen wollte, dem ein Wechsel nach Brieske von Cottbusser Funktionären jedoch untersagt wurde. Erst nach langem Hin und Her wurde eine zunächst verhängte Sperre aufgehoben, und mit acht Treffern konnte Leuthäuser im Saisonfinale immerhin noch für etwas Hoffnung sorgen.
ABSTURZ NACH DER WENDE
1987 kehrte Brieske/Senftenberg zurück in die Liga, feierte zudem in der neugegründeten Juniorenliga große Erfolge und wollte im Sommer 1989 eigentlich „der Zukunft zugewandt“ sein 70. Jubiläum feiern, als die Wende kam. Nach einem von allerlei Gerüchten um einen angeblichen „Geldkoffer“ umrankten 1:4 gegen Stahl Hennigsdorf stand der erneute Abstieg zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt fest. Zeitgleich zerbrachen die ökonomischen Strukturen im Lausitzer Braunkohlerevier. Der Brikettabsatz brach um 60 Prozent ein, das Trägerkombinat wurde abgewickelt, Industrieanlagen stillgelegt und abgerissen. Die Überführung der Betriebssportstrukturen in marktwirtschaftliche fiel schwer, die Abwanderung von Spielern und Fans in den Westen hinterließ Spuren, und aus der BSG Aktivist wurde der FSV Glückauf. Verfallene Häuser, Leerstand und Resignation prägten die alte Gartenstadt seinerzeit.
Immerhin glückte in der Aufstiegsrunde 1990 durch ein Last-Minute-Tor von Andreas Pfennig zum 3:2 gegen Jenaer Glaswerke die sofortige Rückkehr in die Liga. Dort gelang in der letzten DDR-Saison 1990/91 sogar die Qualifikation zur drittklassigen Oberliga Nordost. Bis 1996 kamen daher vertraute Gegner wie 1. FC Magdeburg, 1. FC Union Berlin, Energie Cottbus oder Halle nach Brieske, die jedoch nur noch selten mehr als 300 Unverdrossene anlockten. Gespielt wurde inzwischen in der Elsterkampfbahn, dem alten Sportplatz an der Badeanstalt, wo zu DDR-Zeiten ein Trainingszentrum mit damals moderner Traglufttrainingshalle entstanden war. Das Glückauf-Stadion an der Briesker Straße, in dem so viele legendäre Duelle stattgefunden hatten, wurde 1997 abgerissen und mit Wohnhäusern überbaut. Brieskes große Fußballjahre verschwanden auch optisch.
1994 verabschiedeten sich mit Andreas Leuthäuser und Norbert Schuppan die letzten beiden „Großen“ des Briesker Fußballs aufs Altenteil. Aus dem Nachwuchs rückten zwar Talente wie Sven Benken, im benachbarten Lauchhammer geboren und später mit Werder Bremen Pokalsieger, nach, doch nach dem Oberligaabstieg 1996 kamen die Schwarz-Gelben über die Rolle einer Fahrstuhlmannschaft zwischen Brandenburg- und Landesliga nicht mehr hinaus.
Der große Ruf wurde zum Mythos, der in der Gegenwart wenig Greifbares einbringt. Der Zuschauerzuspruch im Jubiläumsjahr 2019 betrug ganze 79, und das Hauptaugenmerk in der Elsterkampfbahn liegt längst auf der Nachwuchsarbeit, in der der FSV Glückauf führend in der Region ist. Man kann also durchaus sagen, dass Brieske die Wende geschafft hat, auch wenn das große Fußballflair weg ist und die gekreuzten Hämmer im Wappen ebenso wie der Klubname „Glückauf“ zu Reminiszenzen an vergangene Tage wurden, in denen die Welt in der Gartenstadt noch „in Ordnung“ war.
ZEITSPIEL Legenden Fußballvereine, Band 2
176 Seiten, 17 x 24 cm, Paperback, ca. 150 Abbildungen
Edition Zeitspiel, Zeitspiel-Verlag
ISBN: 978-3-96736-007-3