ZEITSPIEL Legenden: Fußballvereine
Fußballgeschichte wird an vielen Orten geschrieben. Die Buchreihe "ZEITSPIEL Legenden" erzählt sie flächendeckend und lokal. Wie es war, wie es wurde, wie es heute ist. Ausführliche und kenntnisreiche Vereinsporträts von der Gründung bis in die Gegenwart. Geschrieben von ausgewiesenen Kennern, stark bebildert, emotional, bereichernd.
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Vorwort Band 3
Ruhm ist vergänglich und wird zudem vom berüchtigten „Zahn der Zeit“ bedroht. Und doch bleibt auch danach etwas. Eine Erinnerung, eine Legende, ein Mythos. Wie bei der Spielvereinigung Erkenschwick, deren große Zeit über 70 Jahre zurückliegt, und die dennoch bis heute ihre Wirkung entfaltet. Erkenschwick ist eine dieser Fußballvereine, die das Label Traditionsverein bis heute tragen, auch wenn sie im Ligaalltag nur noch gegen vergleichsweise namenlose Nachbarn auflaufen. Manchmal aber vergeht der Mythos, wird ein Klub zur „vergessenen Legende“. Den Verein für volkstümliche Bewegungsspiele Alsum dürfte kaum jemand kennen. Er bestand nur 40 Jahre, hatte 1939 einen großen Auftritt im Vereinspokal und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wie der gesamte damalige Duisburger Stadtteil dem Erdboden gleichgemacht.
Um Fußballgeschichte zu schreiben und zur Legende zu werden, braucht es mitunter nicht viel. Der SSV Ulm 1846, ein Klub mit einer unvergleichlich verworrenen Fusionsgeschichte, die im Jahr 1846 beginnt, machte um die Milleniumswende Furore, als der Durchmarsch von der dritten in die erste Liga gelang, dem der Absturz in die Fünftklassigkeit folgte. Die Achterbahnfahrt blieb unvergessen, doch an ihren Folgen laboriert man im Donaustadion bis heute.
Fußballgeschichte ist immer auch Zeitgeschichte, und ob es ein Fußballverein nach ganz oben schaffte, war schon früher abhängig von den Rahmenbedingungen. Wo heute „Investoren“ mit ihrem Privatvermögen dafür sorgen, dass Klubs nach oben stürmen (und danach gerne mal abstürzen, weil das Geld alle ist oder der Geldgeber die Lust verloren hat), waren es einst Unternehmen der Schwerindustrie, die den entscheidenden Vorteil verschafften. Allen voran das erwähnte Erkenschwick, dessen Fußballgeschichte ohne die Zeche „Ewald Fortsetzung“ nicht erzählt werden kann. Das gilt aber auch für Lokomotive Stendal, ein Kollektiv, das es nach dem Zweiten Weltkrieg in die Spitze des DDR-Fußballs schaffte und zum Mythos wurde.
Noch mehr Mythos häufte man in Leipzig-Leutzsch an, wo es der ganz spezielle Geist eines ganz speziellen Vereins war und ist, der die „Legende von Leutzsch“ schuf. Während in Stendal heute bescheiden auf Landesebene gespielt wird, hat es die BSG Chemie in ihrer Reinkarnation zurück in die Leistungsspitze geschafft und bestätigt dort ihre spezielle Aura. Einen ganz besonderen Geist umgibt auch die TuS Koblenz, die lange als TuS Neuendorf unterwegs war und als Paradebeispiel für das streitbare Provinzteam galt.
Und dann sind da Klubs wie Union Solingen, Viktoria Aschaffenburg oder VfB Oldenburg, die ebenfalls ihre Einträge in der großen Fußballgeschichte hinterlassen haben und zurückstreben nach oben. In Oldenburg glückt dies kürzlich, was belegt, dass Tradition auch Zukunft haben kann. In diesem Sinne, eine schöne Reise durch den dritten Band der „Fußball-Legenden“.
Union Solingen
14 Jahre 2. Bundesliga, 536 Spiele, Platz 27 in der Ewigen Zweitligatabelle. Namen wie Wolfgang Krüger, Jürgen Lehr, Dirk Hupe, Günter Diekmann oder Werner Lenz. Sensationen wie ein 1:0 sowie ein 4:0 über Schalke 04 und der Einzug ins Pokal-Viertelfinale 1985 gegen Mönchengladbach. Geblieben ist – nichts, außer ein paar Einträgen in die Fußballgeschichte. Das Stadion: Überbaut mit Wohnhäusern. Der Verein: Nach mehrfachem Konkurs und Umbenennungen in sportlich bedeutungslose und schwer auseinanderzuhaltende Nachfolger zerschlagen, die sich bitter verfeindet gegenüberstehen. Wie würdigt man also ein verschüttetes Erbe?
Solingen, die „Klingenstadt“ im Bergischen Land, deren metallverarbeitende Industrie Weltruf genießt („Messer aus Solingen“), hat es fußballgeografisch lange schwer gehabt. Die Stadt ist umgeben von Klubs mit großem Namen. Wer in Solingen Fußball gucken wollte, hatte die Qual der Wahl. Bis zu acht Bundesligisten gab es bisweilen im Umkreis von 40 Kilometern: Schalke, RWE, Dortmund, Wuppertal, Duisburg, Uerdingen, Düsseldorf, Köln. Zudem war Solingen viel zu lange Fußballstadt ohne ein die ganze Stadt elektrisierendes Team. Vor allem, als sich Fußball nach der Bundesligagründung in den 1960er Jahren rasant professionalisierte steckte man in Solingen noch zu sehr in lokalen Rivalitäten.
Gehen wir zunächst die nüchternen Fakten durch. Solingen ist das Resultat eines Zusammenschlusses mehrerer Kleinstädte, von denen sich jede ihr Zentrum bewahrt hat. Das historische Solingen heißt heute Solingen-Mitte. Dort entstand 1895 mit dem Solinger FC 1895 der erste Fußballklub der Stadt. Für die Entwicklung des Leistungsfußballs sind aber vor allem Ohligs, im Südwesten gelegen, sowie Gräfrath, im Nordwesten gelegen, wichtig. Zwei Stadtteile, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Gräfrath entstand ab 1190 um das gleichnamige Kloster, Ohligs blühte erst sieben Jahrhunderte später mit dem Anschluss an den Eisenbahnverkehr auf und wurde in den 1870er Jahren zum Standort der Schwerindustrie. Wie Nachbar Wuppertal ist Solingen eine hügelige Stadt mit teilweise serpentinenartigen Straßen. 2020 meldete man 162.940 Einwohner, war die Ausländerquote mit 35 % deutlich höher als im Bundesschnitt (12,7 %).
1948: UNION OHLIGS ALS GROSSVEREIN
Union Solingen ist eigentlich ein Ohligser Verein. In dem Industriequartier gab es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Ohligser FC 1906, dem VfR 07 Ohligs und dem Ballspielverein 1912 Ohligs drei ambitionierte Fußballklubs. Der erfolgreichste war zunächst der OFC 06, der 1929 unter Mittelläufer Ernst Steeger in die Bezirksklasse aufstieg und zwei Jahre später die Sonderklasse erreichte. Anschließend gerieten die an der Merscheider Straße ansässigen Schwarz-Weißen in den Schatten von Nachbar VfR 07, der 1931 mit Spielern wie Willi Weck und Fritz Luke die höchste Spielklasse am Niederrhein erreichte. Am 11. August 1940 glückte dem VfR im dritten Aufstiegsrundenanlauf mit einem 7:1 gegen Borussia Mönchengladbach der Sprung in die Gauliga, wo die Grün-Weißen 1940/41 gegen Gegner wie Fortuna Düsseldorf, Schwarz-Weiß sowie Rot-Weiss Essen lediglich acht Punkte holten und wieder abstiegen. Der BV 1912 sah seine Aufgabe eher in der Geselligkeit, weshalb das Team nicht über die A-Klasse hinauskam.
Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen Solingen und sein Fußball am Boden. Solingen wortwörtlich, denn die alliierten Bomber hatten ganze Arbeit geleistet, die Fußballvereine im übertragenen Sinne. Der BV 12 hatte bereits 1945 seine Kräfte mit dem VfL 09 zum VfL Ohligs 1912 gebündelt, als 1949 auf Initiative von Dr. Oskar Bachteler, Mitglied des Landtags und angesehener Funktionär, über eine Konzentration der Kräfte nachgedacht wurde. Am 3. September 1949 war es soweit. In der Festhalle Ohligs kamen Vertreter von OFC 06, VfR 07 und VfL 12 zusammen, um mit dem SC Union Ohligs eine gemeinsame Plattform zu bilden. Man entschied sich für die Solinger Stadtfarben Blau-Gelb und bekam die Spielberechtigung für das Stadion am Hermann-Löns-Weg, das in den späten 1920er Jahren von Mitgliedern der Arbeitersportbewegung errichtet worden war. Bis zum Ende der Umbaumaßnahmen im Juni 1950 trug der Fusionsklub seine Spiele auf dem alten OFC-06-Platz an der Merscheider Straße aus.
Vom Verband erhielt man ein besonderes Geschenk: die Aufnahme in die 2. Liga West. Die hatte 1949 die kleinräumigen Bezirksligen ersetzt und fungierte als Vertragsspielerunterbau der Oberliga West. Sportlich hatte sich der neue Verein eigentlich nicht qualifiziert. 1948 war der OFC 06 zwar in die Bezirksliga aufgestiegen, hatte dort aber nur Platz acht belegt – zu wenig für die neue 2. Liga. Und VfR 07 sowie VfL 12 spielten ohnehin unterklassig. Die Hoffnungen auf Etablierung im westdeutschen Vertragsfußballlager zerschlugen sich rasch wieder. Nach drei biederen Mittelfeldplätzen unter dem ehemaligen Düsseldorfer Nationalspieler Paul Bornefeld schied Union Ohligs 1952 aus der 2. Liga aus, weil Rang 12 nicht zur Qualifikation für die ab 1952/53 eingleisige Liga reichte. Dem letzten Spiel am 20. April 1952 gegen Nachbar Marathon Remscheid (1:1) wohnten 8.000 Neugierige bei. Während Remscheid in der „Eingleisigen“ dabei war, musste Ohligs ins Amateurlager.
Dort traf das Team u.a. auf die Stadtrivalen 1. SpVgg Gräfrath sowohl VfL Wald und verpasste dreimal in Folge die anvisierte Rückkehr in die 2. Liga. Als 1955/56 Platz acht nicht zur Qualifikation für die eingleisige Verbandsliga reichte, verschwand der acht Jahre zuvor voller Hoffnungen gegründete SC Union Ohligs in der viertklassigen Landesliga, wo die Stadtrivalen Solingen 95 sowie VfL Wald warteten. Neue Nummer 1 der Klingenstadt war nun Verbandsligist 1. SpVgg Gräfrath, der aber 1957 ebenfalls abstieg. Der erhoffte Aufschwung des Solinger Fußballs war also ausgeblieben – trotz Jugendnationalspieler Hans-Otto „Ötte“ Peters in Diensten des SC Union.
1959 konnten Union-Boss Heinz Boos sowie Sportausschussvorsitzender Oskar Bachteler das erweiterte Stadion am Hermann-Löns-Weg in Betrieb nehmen, womit zumindest die Infrastruktur für höherklassigen Fußball bereit stand. Ebenfalls 1959 übernahm Max Butz den Vorsitz über die Union-Fußballabteilung. Als der Elf um Nachwuchsspieler Eckhard Krautzun am 3. Juni 1962 mit einem 3:3 gegen die SSVg Velbert die Rückkehr in die Verbandsliga gelang, kaufte der neue Fußball-Boss groß ein.
Ohne Erfolg. 1962/63 schaffte das hochdotierte Team gerade so den Klassenerhalt und fand sich am 3. Mai 1964 nach einem desaströsen 0:5 beim Homberger Spielverein 03 in der Landesliga wieder. Dort wurden die Blau-Gelben 1964/65 in die Bezirksklasse durchgereicht, wo sie auf ihre eigene Zweite trafen. Ein Unikum, das die „Erste“ mit Meisterschaft und direktem Wiederaufstieg in die Landesliga immerhin postwendend reparierte. Doch Ohligs – und damit Solingen – blieb ein Nebenschauplatz im fußballverrückten Westen.
ENDLICH AUF KURS REGIONALLIGA
1968 löste Egon Stüllenberg Butz als Fußballchef ab. Der Unternehmer aus der Alu-Branche machte Horst Franz zum Spielertrainer und erfreute sich an einem packenden Lokalkampf mit der 1. Sportvereinigung Gräfrath um die Staffelmeisterschaft 1968/69. Das entscheidende direkte Duell am 18. Mai 1969 lockte 12.000 Fans ins Union-Stadion, die ein 3:1 der Blau-Gelben feierten, die damit in die Verbandsliga zurückkehrten. Dort gelang endlich die Etablierung. Platz drei in der ersten Saison 1969/70, an dem der aus Richrath gekommene Torjäger Hans Miss hohen Anteil hatte, ließ sogar erste Hoffnungen auf den Aufstieg in die Regionalliga West aufkommen.
Während das Team 1970/71 sportlich auf Rang acht zurückfiel, erhielt das Union-Stadion einen Rasenplatz, der für den weiteren Aufstieg in den bezahlten Fußball unabdingbar war. Akteure wie Edgar Evenkamp (Bayer Uerdingen), der frühere Bielefelder Horst Stockhausen (VfL Klafeld-Geisweid), Jürgen Lehr (Wuppertaler SV) sowie die Torjäger Reinhold Nordmann (SSVg Heiligenhaus) und Werner Hosung (1. SpVgg Gräfrath) kamen. Fritz Pliska, der Rot-Weiss Essen 1966 in die Bundesliga geführt hatte, übernahm das Training. Die wichtigste Personalie aber fand abseits des Spielfeldes statt. Mit Klaus Hahn rückte ein ehrgeiziger und junger Möbelkaufmann auf den Posten des Fußball-Abteilungsleiters, der Union in den folgenden Jahren kräftig seinen Stempel aufdrücken sollte.
Der Weg zum Erfolg war steinig. 1972/73 waren erst sieben Spiele absolviert, als Pliska gehen musste und Horst Stockhausen als Spielertrainer übernahm. Danach verlor Union kein Spiel mehr und ging mit einem 5:0 über den VfB Homberg als souveräner Niederrheinmeister durchs Ziel. In der Aufstiegsrunde zur Regionalliga West hatten die Klingenstädter Glück. Nach einem 1:1 gegen Viktoria Köln vor 9.000 Zuschauern rückten sie dank der Aufstiege von RWE und Düsseldorf in die Bundesliga neben Viktoria Köln und Lüdenscheid vorzeitig in den Bundesliga-Unterbau auf.
Dort übernahm Wolfgang Wolf das Trainer, weil Stockhausen sich auf seine Spielertätigkeit konzentrieren wollte. Dass das erste Regionalligajahr 1973/74 das letzte für den SC Union sein würde, stand schon vorher fest, denn 1974 gingen die beiden 2. Bundesligen an den Start. Weil jene für Aufsteiger Solingen nur als Regionalligameister erreichbar waren, nutzte die Klubführung die Saison, um eine Mannschaft für die Zukunft aufzubauen. Mit Heinz-Peter Helpenstein (Rheydt), Manfred Kreis (Köln), dem früheren Bielefelder Bundesligaspieler Gerd Knoth, Horst Kuballa (VfB Bottrop) sowie Franz Genschick vom VfL Benrath wurde der Kader perspektivisch verstärkt. Das Publikum strömte fröhlich zum Hermann-Löns-Weg. Zum Auftakt kamen 5.000 gegen Preußen Münster, und Ergebnisse wie ein 2:0 bei Borussia Dortmund, ein 3:0 gegen Bayer Uerdingen, ein 1:1 in Bielefeld oder ein 2:1 gegen Schwarz-Weiß Essen ließen aufhorchen.
In der Rückrunde lief das Team unter dem Namen Ohligser SC (OSC) Solingen auf. Die eigentlich geplante Gründung eines 1. FC Solingen war am 20. Juli 1973 an Verfahrensmängeln gescheitert, und der neue Name sollte die Bindung zur Stadt stärken. Dabei hatte die sich im Sommer 1973 noch gesperrt und schnippig festgestellt: „Im bezahlten Fußball haben wir es mit Wirtschaftsunternehmen zu tun, die ein Risiko eingegangen sind, das sie selbst tragen müssen“. Auch die Unterstützung der lokalen Industrie war zurückhaltend, und Leistungsfußball fiel in Solingen wahrlich nicht auf goldenen Boden. 1974/75 kam Ex-Bundesligaspieler Jürgen Kohle aus Wuppertal, während aus dem OSC Solingen durch Fusion mit dem VfL Solingen-Wald 97 die SG Union Solingen wurde. Der im „Dorp“ genannten Stadtteil Wald ansässige und für seine Nachwuchsarbeit berühmte Fusionspartner brachte mit „1897“ auch ein neues Gründungsjahr in die Ehe. Im gemeinsamen Vereinsemblem prangte nun symbolisch das Anker-Wappen der Stadt Solingen
Sportlich stand das Ziel „2. Bundesliga Nord“ auf dem Wunschzettel. Am 8. September 1974 sahen 8.000 Zuschauer aber zunächst einen packenden Pokalfight gegen Bundesligist Kickers Offenbach. Dessen Führung kurz nach dem Seitenwechsel glich Stockhausen, inzwischen wieder Spielertrainer, per Foulelfmeter postwendend aus. Quasi mit dem Schlusspfiff versetzte der aus dem VfL-Wald-Talentschuppen hervorgegangene Werner Lenz das Publikum mit dem 2:1-Siegtreffer dann in Ekstase. Nächster Gegner war Pokalverteidiger Eintracht Frankfurt, der sich am 27. Oktober vor 12.000 Zuschauern nach früher Union-Führung durch Lehr in die Verlängerung rettete und dort glücklich gewann. Doch Amateurligist Union Solingen hatte ein erstes Ausrufezeichen gesetzt! Das galt auch für die Liga. 20 Spiele ohne Niederlage, ein triumphales 4:2 vor 5.000 Zuschauern gegen Nachbar VfB Remscheid sowie ein den Titel besiegelndes 4:1 bei Eintracht Duisburg bedeuteten im Mai 1975 den ersten Schritt in Richtung 2. Bundesliga Nord. Die Aufstiegsrunde begann mit einem 2:0 gegen Arminia Hannover, und ein abschließendes 3:1 über den bereits feststehenden Aufsteiger Bayer Leverkusen sicherte Union schließlich Platz 2.
DER EWIGE ZWEITLIGIST
Endlich Profifußball! Während Spielertrainer Stockhausen in der Sportschule Hennef für die A-Lizenz büffelte, kamen mit Jörg Daniel, Karl-Heinz Haymann, Lothar Richter, Wolfgang Krüger, Reinhold Schmitz und Dieter Goldbach gestandene Profis, die insgesamt 250.000 DM verschlangen. Viel Geld für den klammen Verein. Präsident Hahn zeigte sich großzügig und übernahm die vom DFB verlangte Bürgschaft von 100.000 DM. Dann konnte das Kapitel „2. Bundesliga in Solingen“ aufgeschlagen werden und begann mit einem 7:2 bei Mitaufsteiger Spandauer SV am 9. August 1975 perfekt. Vier Spieltage später zierte Union sogar die Tabellenspitze der Nord-Staffel und hatte sowohl Preußen Münster geschlagen als auch beim FC St. Pauli gewonnen. Schlussendlich ging es allerdings „nur“ um den Klassenerhalt, den das Team schließlich unter Herbert Burdenski besiegelte, der am 1. März 1976 Spielertrainer Stockhausen abgelöst hatte. Fünf Wochen später wohnten 4.000 Zuschauer der Eröffnung der neuen Tribüne am Hermann-Löns-Weg bei.
Sowohl Burdenski als auch Stockhausen verließen Solingen anschließend, und wegen der knappen Kassenlage sowie ausbleibender Unterstützung durch Stadt und Industrie waren dem Klub die Hände gebunden. Die Verkäufe von Torhüter Daniels (für 300.000 nach Düsseldorf) und Schmitz (Tennis Borussia, 100.000 DM) spülten immerhin etwas Geld in die Kassen, doch von den acht Zugängen zur Saison 1976/77 verfügte lediglich der Ex-Hannoveraner Karl-Heinz „Ali“ Höfer über Bundesligaerfahrung. Aus Viersen kam mit Hans-Günter Plücken zudem ein Akteur, der ein Dreamteam im Sturm mit Werner Lenz bilden sollte.
Das zweite Jahr begann wie ein Gegenbild des ersten. Zum Auftakt gelang noch ein 1:0 gegen Hannover 96, nach fünf Spieltagen aber rangierte die SG Union nur auf Platz 19. Mit Mileta Rnić wurde daraufhin ein Torjäger vom OFK Belgrad geholt, der am 3. Oktober 1976 beim 3:0 gegen den VfL Osnabrück prompt traf und die Negativserie stoppte. Mit Alfred Haffner aus Österreich, Amateurnationalspieler Hans-Gerd Florian von Schwarz-Weiß Essen sowie Otto „Atom-Otto“ Luttrop aus dem 1966er Meisterteam von München 1860 stießen im Herbst noch drei Routiniers zum Kader. Weder deren Erfahrung noch zwei Trainerwechsel (Hermann Eppenhoff kam am 28. November 1976 für Wagner und warf im März 1977 das Handtuch, woraufhin Frank Herbeling übernahm) brachten jedoch die Wende, und nach einem 1:2 gegen Preußen Münster vor 800 Zuschauern stand Union Solingen am 21. Mai 1977 als sportlicher Absteiger fest. Nur ein Wunder konnte den Verein retten – und manchmal geschehen tatsächlich Wunder: Erst verlor der Bonner SC seine Zweitligalizenz, dann verzichteten die über Solingen platzierten Klubs Göttingen 05 und Wacker 04 Berlin auf ein weiteres Jahr im Profilager. Also fragte der DFB in Solingen an. Union-Manager Richard Winking sagte sofort ja, sanierte mit dem Verkauf von Cryns, Wiesler, Haymann und Rnić die marode Kasse und bereitete den Klub auf ein drittes Zweitligajahr vor. Niemand ahnte, dass damit die goldenen Jahre des Solinger Fußballs begannen.
QUALIFIKATION ZUR „EINGLEISIGEN“
Mit Horst Franz übernahm ein ehemaliger Union-Spieler neben der Trainingsleitung auch das Amt des Sportlichen Leiters. Das war kein einfaches, denn die Kasse in Solingen war chronisch leer und der DFB hatte die Lizenzerteilung mit der Auflage verbunden, kein Geld für neue Spieler auszugeben Mit dem jugoslawischen U21-Nationalspieler Vojin Jovanović, Mittelfeldrackerer „Nobby“ Lenzen von Zwangsabsteiger Bonner SC, Günter Diekmann aus Bremerhaven sowie den Routiniers Hans-Werner Hartl und Dieter Suchanek bewies der neue Mann ein glückliches Händchen. Im Laufe der Vorrunde kamen noch Torsteher Helmut Pabst von Fortuna Köln sowie der junge Dirk Hupe dazu. Abstiegskandidat Union blieb zehn Spiele in Folge ungeschlagen und erreichte mit Platz 9 die bis dahin beste Zweitligaplatzierung der Vereinsgeschichte. Solingen, die Klingenstadt im Bergischen Land, war endgültig angekommen im Bundesliga-Unterbau!
Finanziert wurde der Zweitligaetat vor allem durch Transfers. Verschuldung war für Manager Klaus Hahn tabu, und mit einem Etat von 800.000 DM rangierte der Klub am unteren Ende der Ligaskala. Hahn: „Da unser Konzept keine Einkäufe teurer Spieler erlaubt, müssen wir sportlich zurückstehen“. „Ermittelt man den Durchschnittsverdienst, so liegt das Einkommen mit 30.000 Mark brutto kaum über dem Niveau gutsituierter Vereine der Amateuroberliga“, analysierte die „Fußball-Woche“ unter der Überschrift „Union Solingen: Ein Musterknabe“.
Weil sich der HSV 1978 Shootingstar Plücken schnappte und dafür 350.000 DM zahlte konnte Trainer Franz den Rest seiner Elf um „Balkan-Beckenbauer“ Vojin Jovanović und den von Schwarz-Weiß Essen gekommenen Jürgen „Jumbo“ Elm sowie Sieghard Heise ausnahmsweise zusammenhalten und 1979/80 triumphieren. Nach einem 1:1 bei Hannover 96 rangierten die im sechsten Saisonspiel noch immer ungeschlagenen Blau-Gelben auf Platz 3, als eine 1:2-Heimpleite gegen Lüdenscheid die Erfolgsserie reißen ließ und Union ins Mittelfeld zurückfiel. Am Ende stand zum dritten Mal in Folge Platz 9 – ein Riesenerfolg. Highlights waren ein 9:1 gegen den OSV Hannover, bei dem Werner Lenz binnen vier Minuten einen Hattrick hinlegte, sowie zwei Derbysiege gegen den Wuppertaler SV. „Die Finanzen stimmen bei uns“, lobte Trainer Franz, „aber wir wünschen uns noch mehr Zuschauer, weil die Spieler in der kommenden Saison auf einer Prämienbasis arbeiten, die die Zuschauerzahlen einbezieht“.
Ausgerechnet vor der Qualifikationssaison für die eingleisige 2. Bundesliga 1980/81 gab es Ärger bei den Klingenstädtern. Nach dem Rücktritt des besonnenen Managers Hahn im Januar 1980 war das Union-Schiff unter dem seit 1978 amtierenden Präsidenten Bernd Wilz, NRW-MdL für die CDU, ins Schlingern geraten. Vor allem zwischen Wilz und dem als Lizenzspielerobmann fungierenden Mäzen Fred Lahmeyer krachte es. Als die Sparkasse Anfang Juni 1980 ein Kreditkonto sperrte, konnte Union keine Gehälter mehr auszahlen. Präsident Wilz rief daraufhin eine außerordentliche Mitgliederversammlung ein, appellierte an Bevölkerung, Industrie und Kommune, sich zu Union und dem Ziel „Eingleisige“ zu bekennen und holte Manager Hahn zurück ins Boot. Als der umstrittene Lahmeyer seinen Hut nahm, war die Krise bewältigt.
Sportlich bewies die lediglich durch Amateure ergänzte Franz-Elf bemerkenswerte Konstanz, blieb vor allem dank der Abwehr um Torwart Pabst, Libero Jovanović und Vorstopper Hupe acht Spiele in Folge ungeschlagen und sicherte sich mit Rang sieben souverän einen Startplatz in der „Eingleisigen“. Allerdings verlor man unterwegs Erfolgscoach Franz, der nach dem 2:1 über Tennis Borussia am 24. November 1980 den Verlockungen von Bundesligist Arminia Bielefeld erlag, wo die finanziellen Möglichkeiten ungleich besser waren. Nachfolger Gerhard Prokop erhielt von Holstein Kiel zunächst keine Freigabe, weshalb offiziell Frank Herbeling die Übungsleitung übernahm. Das Filetstück der Elf war die Offensive um Werner Lenz (20 Saisontore), den im November 1980 vom designierten Absteiger OSV Hannover geholten Bernd Krumbein (14) sowie den schussgewaltigen Mittelfeldspieler Willi Seegler (14).
Mit der Qualifikation zur „Eingleisigen“ gehörte Union zu den Top-40 im deutschen Profifußball, hatte aber nach den Abgängen von Hupe, Lenz und Jovanović Startschwierigkeiten. Der schließlich von Kiel freigegebene Trainer Prokop musste nach elf Spielen, in denen das durch den Jugoslawen Miladin Lazić noch verstärkte Team immerhin ein 5:2 über den Freiburger FC sowie ein 1:1 auf Schalke feierte, gehen. Unter Nachfolger Erhard Ahmann kletterte Union dank seiner Heimstärke allmählich aus dem Tabellenkeller. Das Stadion am Hermann-Löns-Weg war bei den Gegnern aber nicht nur wegen der Heimelf gefürchtet. Der rudimentäre Kabinentrakt galt als Zumutung und das Publikum war zwar launisch, aber potenziell auch enorm engagiert. Highlight war das 1:0 am 13. Februar 1982 vor 14.000 begeisterten Fans über den FC Schalke 04, für das der von Rot-Weiß Frankfurt gekommene Wolfgang Schäfer sorgte. Mit einem 1:0 am letzten Spieltag gegen Bayer Uerdingen buchte Union mit Platz 16 ein weiteres Zweitligajahr und freute sich über die Installation einer Flutlichtanlage.
GOLDENE ZWEITLIGAJAHRE
„Nicht wieder zittern“ hieß das Motto 1982/83, der achten Zweitligasaison in Folge für Union Solingen. In der Vorsaison hatte der Klub mit 5.583 Zuschauern pro Spiel einen Rekord verbucht, der Mut machte. Lothar Kleim übernahm das Training, mit Hans Klinkhammer sowie Horst Raubold kamen erfahrene Kräfte von München 1860. Dazu stießen die Talente Dirk Römer sowie Daniel Jurgeleit. Ein ordentlicher Saisonstart (u.a. 3:0 gegen Aufsteiger BV Lüttringhausen) verhalf den Blau-Gelben zu einem angenehmen Punktepolster auf die Abstiegszone, das in der durchwachsenen Rückrunde zunehmend dünner wurde. Nach dem 1:3 bei Hannover 96 am 12. April 1983 auf einen Abstiegsplatz gerutscht, zog Präsident Wilz die Reißleine und holte seinen ehemaligen Schulfreund Eckhard Krautzun. Der Trainer-Weltenbummler führte das Team zu vier Heimsiegen, womit die Blau-Gelben dank des um zwei Treffer besseren Torverhältnisses vor dem FC Augs-burg hauchdünn auf einem rettenden Platz einlief. Welches Potenzial die Mannschaft besaß, hatte sie am 16. Oktober 1982 gezeigt, als Bundesligist Borussia Mönchengladbach in der zweiten Hauptrunde des DFB-Pokals am Hermann-Löns-Weg gastierte. Vor 15.000 Fans im ausverkauften Union-Stadion hielt der Zweitligist trotz frühem 0:1-Rückstand ausgezeichnet mit und stand mehrfach vor dem Ausgleich, als Hans-Günter Bruns in der Schlussminute mit dem 2:0 den Sack für den Bundesligisten zumachte.
Nachdem Torjäger Werner Lenz seine Profikarriere nach 236 Zweitligaspielen und 95 Toren beendet hatte, drohte 1983/84 ein weiteres Jahr Abstiegskampf. Obwohl Union erst am sechsten Spieltag die erste Saisonniederlage kassierte, war die Stimmung am Hermann-Löns-Weg zunächst nicht gut. Der neue Lizenzspieler-Obmann und millionenschwere Bauunternehmer Gerd Kliemt aus Langenfeld verbreitete Unruhe, und nach einem 1:6-Debakel bei Hessen Kassel musste das erst zu Saisonbeginn installierte und zweitligaunerfahrene Trainerduo Hans-Georg Linnert/Dieter Baehr am 17. September 1983 gehen. Während Kliemt nach nur drei Monaten wieder die Brocken hinwarf, kam Eckhard Krautzun zurück, stellte den früheren Bielefelder Volker Diergardt zwischen die Pfosten und startete mit einem sagenumwobenen 4:0 vor 12.000 Zuschauern gegen Schalke 04. Es war die Initialzündung für eine Saison, in der das offensivstarke Team (70 Saisontore, davon 21 durch Wolfgang Schäfer, 15 von Daniel Jurgeleit, zehn von Engelbert Buschmann sowie drei von Neuzugang Demir Hotić) bis in den Frühling hinein um Platz drei und damit den Aufstieg in die Bundesliga mitspielte. Erst eine 0:1-Niederlage vor 12.000 Zuschauern am Hermann-Löns-Weg im Spitzenspiel gegen den MSV Duisburg ließ die heimlichen Erstligaträume am 34. Spieltag zerplatzen. Dennoch: Ein Jahr nach dem nervenaufreibenden Zittern um den Klassenerhalt lief Union als Fünfter ein, strömten durchschnittlich 5.347 Zahlende durch die Stadiontore – glücklicher Solinger Schatzmeister!
Es sollte der Höhepunkt der lokalen Fußballgeschichte bleiben. Goalgetter Schäfer wechselte anschließend nach Uerdingen und linderte mit seiner Ablöse immerhin das inzwischen auf 1,7 Mio. DM angewachsene Loch in der Kasse. Auf dem Spielfeld wiederum hinterließ er eine nicht zu stopfende Lücke. In der Hinrunde 1984/85 blieb Union noch auf Tuchfühlung zu den Spitzenplätzen, doch nach sieben sieglosen Spielen in Folge im Frühjahr verlor das Team den Kontakt zur Spitze. Am Ende reichte es immerhin zu Platz sechs, doch das negative Torverhältnis sprach Bände. Der durchschnittliche Zuschauerzuspruch war um 2.000 auf 3.186 eingebrochen, und am Hermann-Löns-Weg übernahm erneut Küchenmeister Schmalhans die Regie. „Wir müssen erfolgreich arbeiten und sportlich attraktiv bleiben“ forderte der neue Präsident Hans-Peter Ludwigs, Nachfolger von MdB Bernd Wilz, und installierte mit Rolf Müller erstmals in der Klubgeschichte einen Manager.
UMBRUCH UND POKALEUPHORIE
Der musste im Sommer 1985 gleich einen Umbruch managen. Die Stammspieler „Siggi“ Heise, „Jumbo“ Elm und Miladin Lazić gingen ebenso wie die erst 1984 gekommenen Günter Franusch und Wolfgang Trapp. Im Gegenzug kamen u.a. „Hannes“ Reif, Waldemar Steubing sowie Manfred Pomp, der sich am siebten Spieltag allerdings schwer verletzen sollte. Saisonziel war „ein Platz in der Spitzengruppe, wobei wir“, so Neu-Präsident Ludwigs, „insgesamt damit liebäugeln, ganz vorne möglichst lange ein Wörtchen mitzureden“. Nächster Abgang war Erfolgscoach Krautzun, der nach dem 4:3 gegen Blau-Weiß 90 am 27. September 1985 die Koffer packte und zu Ligakonkurrent Tennis Borussia wechselte. Immerhin: Während Krautzun mit seinem neuen Team abstieg, schaffte der vermeintliche Spitzenklub Union den Klassenerhalt. Doch es war ein zähes Ringen. Krautzun Nachfolger Rolf Müller gab nach fünf Monaten und neun sieglosen Spielen in Folge auf, Präsident Ludwigs trat ebenfalls zurück und sein Nachfolger (und Vorgänger) Klaus Hahn setzte angesichts des Schuldenberges den Rotstift an. Seine Strategie: „Talente, die ihre Chance suchen und nicht auf jede Mark schauen, haben künftig bei Union eine Chance.“ Sportlich steuerte Ex-Mittelfeldmotor Günter Diekmann den Minikader aus 17 Spielern schließlich auf Platz 15 und damit zum Klassenerhalt. Doch der Zuschauerzuspruch rutschte auf 2.252 und damit den geringsten Schnitt in bis dahin elf Jahren 2. Bundesliga.
Nur im Pokal gab es Grund zum Jubel, erreichte die SG Union erstmals das Viertelfinale. Die Blau-Gelben hatten allerdings etwas Losglück, als sie mit dem VfL Kellinghusen (4:1), der SpVgg Bayreuth (2:1) sowie Eintracht Haiger (8:0) vergleichsweise leichte Gegner aus dem Weg räumen durften. Am 16. Februar 1985 stand den Blau-Gelben dann im schneebedeckten Union-Stadion ein großer Name gegenüber, der zudem aus der Nachbarschaft kam: Borussia Mönchengladbach. Offiziell 15.500 Zuschauer auf den Rängen (tatsächlich waren es wohl 20.000, die auch auf den umliegenden Bäumen saßen) bejubelten in der 52. Minute den Ausgleich von Dauerbrenner Günter Diekmann, nach dem sich ein offener Schlagabtausch entwickelte. Als Uwe Rahn in der 66. Minute Gladbach erneut in Führung brachte, blieb Union Solingen nur der Titel des „Siegers der Herzen“.
Die guten Jahre waren nun vorbei. 1986/87 und 1988/89 kamen im Schnitt nur noch rund 2.200 Fans, ehe 1988/89 die Grenze von 2.000 sogar unterschritten wurde und man lediglich 1.982 Zahlende pro Auftritt begrüßte. Solingens Profifußball blutete aus. Sportlich gelang 1986/87 unter Manfred Krafft und mit dem Duisburger Zugang Franz-Josef „Pino“ Steininger dank Zwischenspurt von zehn Spielen ohne Niederlage und wegweisenden Siegen gegen die Abstiegskonkurrenten SSV Ulm 1846 und Fortuna Köln immerhin Platz 12, bei allerdings lediglich drei Punkten Vorsprung auf den ersten Abstiegsrang. Im Saisonverlauf hatte Präsident Hahn laut über eine mögliche Lizenzrückgabe nachgedacht, denn „Vorrang hat die wirtschaftliche Konsolidierung“.
Nach Saisonende wechselte Trainer Krafft zu Ligarivale Stuttgarter Kickers, verlor die SG Union mit Demir Hotić, „Manni“ Dum, „Pino“ Steininger sowie Günter Diekmann erneut vier Leistungsträger. Unter dem aus Viersen gekommenen Trainer Manfred Schlebusch und mit dem Mini-Etat von 1,3 Mio. DM, startete man 1987/88 mit neun Spielen ohne Sieg und rutschte sofort in die Abstiegszone. Erst mit dem 1:0 bei Schlusslicht Arminia Bielefeld (Dirk Römer, 64.) verließ Union am 35. Spieltag erstmals die Abstiegsränge und wurde schließlich 15. Doch das Damoklesschwert des Abstiegs schwebte nach dem zwischenzeitlichen Höhenflug wieder über dem Solinger Dauerzweitligisten, bei dem die Kassenlage aufgrund der Altschulden sowie der anhaltenden Zurückhaltung von Stadt und Industrie unverändert angespannt war.
1988/89 endete die Zweitligaära der SG Union Solingen. Mit Torhüter Volker Diergardt hatten die Blau-Gelben einen weiteren Leistungsträger an Rot-Weiss Essen verloren. Zudem gab man Wolfgang Krüger, mit 428 Auftritten Rekordspieler der Solinger Zweitligaepoche, keinen neuen Vertrag, woraufhin er zum VfB Langenfeld wechselte, wo bereits mehrere frühere Teamkollegen kickten. Auf der anderen Seite wurde erstmals für viel Geld ein Kader zusammengestellt, der trotz insgesamt 28 Akteuren, drei Trainern und einem Manager Horst vom Bruch, der nur 51 Tage da blieb, lediglich 20 Punkte aus 38 Spielen einsammelte. Am sechsten Spieltag rutschte Union mit einem 0:3 auf eigenem Platz gegen Wattenscheid 09 auf den letzten Tabellenplatz, den die Mannschaft nicht mehr verließ. Verletzungssorgen und sich auf der Geschäftsstelle stapelnde Mahnbescheide ließ die Führungsebene um Präsident Hahn verzweifeln.
DER ABSTURZ
Was nach dem Abstieg ins Amateurlager blieb war ein Fangesang, in dem es hieß: „14 Jahre zweite Liga — ein großer Erfolg. Ja wir sind aus gutem Holz.“ 1989/90 wurde Zweitligaabsteiger Union in der Oberliga Nordrhein in die Verbandsliga durchge-
reicht und war am Ende. Konkurs, Auflösung, Neugründung als 1. FC Union Solingen. Dem gelang 1994 die Rückkehr in die Oberliga, doch das Fußballidyll am Hermann-Löns-Weg war Geschichte. Nach zwei Spielzeiten ging es wieder in die Verbandsliga, marschierte der 1. FC Union 1997/98 noch eine Etage tiefer in die Landesliga. 1999 überstand der Klub ein Insolvenzverfahren, kehrte 2000 unter Trainer Gerd Zewe mit einem 1:1 vor 8.000 Fans gegen TuRU Düsseldorf in die Verbandsliga zurück und feierte 2002 sogar die Rückkehr in die Oberliga Nordrhein, wo die Blau-Gelben als Zuschauermagnet noch einmal an bessere Zeiten anknüpften. Doch der „schlafende Riese“ erwachte nicht mehr. 2007 verschwand Union erneut in der Verbandsliga, kam es zum dritten Mal nach 1990 und 1999 zu einem Insolvenzverfahren (das aber bald zurückgenommen werden konnte). Zudem drohte Heimatlosigkeit, da das Stadion am Hermann-Löns-Weg einem nur noch nicht final terminierten Abriss geweiht war.
Als Ex-Profi Thomas Brdaric im März 2009 als Sportlicher Leiter an den Hermann-Löns-Weg kam, löste er noch einmal Aufbruchsstimmung aus. Doch Brdaric verstand sich nicht mit Coach Frank Zilles, und als jener am 12. Mai 2009 die Papiere bekam, zerplatzte der Traum vom bereits sicher geglaubten Aufstieg in die NRW-Liga. Am Saisonende hatte Union drei Punkte Rückstand auf Meister VfB Speldorf und verpasste die NRW-Liga. Es war der Todesstoß. Geschäftsführer Christian Deutzmann, Co-Trainer Enver Ališić sowie Thomas Brdarić verließen den Verein, der 2009/10 in die Landesliga abstieg. Zwischenzeitlich hatte am 30. Mai 2010 das letzte Spiel an historischer Stätte am Hermann-Löns-Weg stattgefunden. Gegner war der KFC Uerdingen um den Brasilianer Aílton – ein passendes Duell, nicht nur für Fußball-Romantiker. Solingen verlor 3:6. Am 29. Juni 2010 meldete der Verein zum vierten Mal seit 1990 Insolvenz an und zerbrach. Nach Übertritt von Teilen der ersten Mannschaft und Teilen der Jugendabteilung zum Bezirksligisten BSC Aufderhöhe gab jener sich 2012 den Namen BSC Union Solingen 1897, während der 1. FC Union 2011/12 den Spielbetrieb nach einem Jahr Pause in der Bezirksliga wieder aufnahm, aus jener jedoch abstieg. Kurz darauf wurde das Insolvenzverfahren mit der Auflösung des Klubs geschlossen.
Nachfolger wurde der bereits am 7. Dezember 2010 gegründete Ohligser FC (OFC) Solingen, der sich seit dem 25. Juni 2018 1. FC Solingen nennt und mit dem BSC Union (Ex-BSG Aufderhöhe) darüber streitet, wer der legitime Nachfolger der ruhmreichen Union ist. Man attackiert und ignoriert sich, die meisten „alten“ Fans gehen zum 1. FC, der auf der Herbert-Schade-Sportanlage an der Krahenhöhe Kreisliga-A-Fußball anbietet, während der BSC Union in der Parallelstaffel spielt. „Es war nicht ein Fehler, der in die Kreisliga A geführt hat — es waren viele“, sagte der langjährige Coach Horst Franz 2017 gegenüber einer Lokalzeitung: „Man hatte nie Geld, aber immer so getan als ob. Die Union hat sich selbst zerstört. Es gab zu viele Leute, die sich an dem Verein bereichern wollten“.
ZEITSPIEL Legenden Fußballvereine, Band 3
176 Seiten, 17 x 24 cm, Paperback, ca. 150 Abbildungen
Edition Zeitspiel, Zeitspiel-Verlag
ISBN: 978-3-96736-009-7