ZEITSPIEL Geschichte. Ausgabe #35
Eine Liga der Gegensätze
Die vielen Welten der 2. Bundesliga
(Von Hardy Grüne)
Wirtschaftlich war die neue 2. Bundesliga ähnlich herausfordernd wie die alten Regionalligen. Nur sieben der 40 Zweitligisten schrieben in der Saison 1974/75 schwarze Zahlen. Darunter waren mit Südmeister (und Aufsteiger) Karlsruhe, 1860 München, Borussia Dortmund, 1. FC Saarbrücken sowie Arminia Bielefeld fünf Ex-Bundesligisten mit entsprechender Fanbasis und Infrastruktur. 1860 profitierte vom 1972 eröffneten Olympiastadion, Borussia Dortmund vom im Gründungsjahr der 2. Bundesliga eröffneten Westfalenstadion. Darüber hinaus gab es nur beim FC Augsburg sowie Göttingen 05 ein Plus in der Kasse. Immerhin ausgeglichene Zahlen meldeten die Süd-Zweitligisten Chio Waldhof, Schweinfurt 05, SpVgg Bayreuth, FC 08 Homburg sowie Absteiger Wormatia Worms, während die Klubs der Nordstaffel abgesehen von den erwähnten Profiteuren Dortmund, Bielefeld und Göttingen ausnahmslos rote Zahlen schrieben. Insgesamt häuften die Nordklubs 3,2 Mio.DM Schulden an, die Südklubs lediglich 1,6 Mio. DM.
Hintergrund waren häufig massive Investitionen in das spielende Personal. Viele Vereine hatten ältere Bundesligaprofis oder gar Nationalspieler verpflichtet, um sich im neuen Bundesligaunterbau zu etablieren. Lothar Emmerich spielte nun in Schweinfurt, Helmut Haller für den FC Augsburg, Klaus-Dieter Sieloff und Hans Schulz für Alemannia Aachen. Dazu kamen hohe Auflagen des DFB, der von jedem Zweitligisten eine Bürgschaft in Höhe von 75.0000 DM sowie eine Kaution über 25.000 DM verlangte, um die Saison im Falle eines Finanzcrash zu Ende spielen zu können. Auch in die Infrastruktur floss viel Geld. Die Stadien mussten den Liga-Auflagen angepasst werden, was vor allem die Klubs mit vereinseigenen Anlagen vor Probleme stellte, zumal sich die Städte häufig weigerten, mit Steuergeldern einzuspringen. Seit dem Bundesligaskandal 1971/72 war der Ruf des Profifußballs in Deutschland angeschlagen. Diverse Vereine verpfändeten Klubhäuser und Plätze, was die Finanzkrise wenige Jahre später noch verschärfen sollte, da sie nun keine finanziellen Rücklagen mehr hatten. „Nur schuldenfreie Klubs sollten es wagen,... in das Lager des bezahlten Fußballs zu wechseln“ ließ der DFB nach Saisonende süffisant wissen.
Die Auftaktsaison 1974/75 wurde zum erbitterten Existenz- und Überlebenskampf. 47 Platzverweise, 271 Elfmeter und 22 Trainerwechsel unterstrichen dies. Die Fans wiederum fanden durchaus an den beiden Staffeln. Während der Süden auf einen Zuschauerschnitt von 7.154 kam, musste man sich im Norden mit 6.102 begnügen – dort spielten mit Barmbek-Uhlenhorst, Schwarz-Weiß Essen, Wacker 04 Berlin, FC St. Pauli und VfL Wolfsburg allerdings auch die Liga-Armenhäuser. Den geringsten Zuspruch im Süden verbuchte Röchling Völklingen mit 3.921 Zahlenden pro Spiel. Ligaübergreifende Rekordkulisse waren jeweils 61.000 Zahlende bei 1860 gegen Saarbrücken (1:0, 8.März 1975) bzw. 1860 gegen Bayern Hof (0:0, 8. Juni 1975),während Barmbek-Uhlenhorst am 2.Juni 1975 beim 0:2 gegen Arminia Bielefeld für einen Minusrekord sorgte. Borussia Dortmund war mit durchschnittlich 25.489 Zahlenden Krösus im Norden.
Verärgerung herrschte über die Fernsehanstalten ARD und ZDF, von denen sich die Zweitligisten schlecht behandelt fühlten. Besonders sauer waren sie, weil die Sender Sonntagsspiele forderten (der Sonntag war den Amateuren vorbehalten und bei Profiklubs wegen geringerer Zuschauerzahlen verpönt), dafür aber nicht zusätzlich zahlen wollten. „Bei uns werden nur noch Sonntagsspiele ausgetragen, wenn sie wegen Überschneidung mit Bundesliga-Terminen örtlich notwendig werden. Auf das Fernsehen nehmen wir keine Rücksicht mehr“, schimpfte Franz Kronenbitter, der Geschäftsführer des Süddeutschen Fußball-Verbandes bzw. der 2. Liga-Süd schon bald. An den ersten beiden Spieltagen waren die Fernsehbildschirme sogar schwarz geblieben, nachdem Verhandlungen zwischen Liga und Sendern gescheitert waren. Erst als sich der DFB einschaltete und von den TV-Anstalten 60.000 DM pro Klub und Saison forderte, aber nur 20.000 DM durchsetzte (etwa 10% des Erstligasumme), konnte man zumindest einen Burgfrieden für die laufende Saison schließen. Im Folgejahr sollte der Streit wieder aufbrechen. Später etablierte sich dann ausgerechnet der Sonntag als Zweitligaspieltag – sehr zum Ärger der Amateurklubs.
Ambitionierte Profiklubs mit großer Fanbasis
Im Frühsommer 1974 war der 1. FC Nürnberg in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga tragisch gescheitert. Nach einem 0:5 bei Wacker 04 hatte die Elf von Trainer Hans Tilkowski zunächst einen Tiefpunkt erreicht. Mit einem 3:1 gegen Saarbrücken war dann die Wende gelungen, doch am Ende fehlte nach einem 2:2 im Rückspiel in Saarbrücken ein einziges Tor gegenüber Gruppensieger und Aufsteiger Braunschweig. Für die erste Saison in der 2. Bundesliga Süd krempelte der Club seinen Kader komplett um und sorgte mit der Verpflichtung des Bochumer Torjägers Hans Walitza trotz bestehender Überschuldung sogar für einen Rekordtransfers (666.666 DM Ablöse). Dazu kamen u.a. Torhüter Franz Schwarzwälder von Zwangsabsteiger SV Alsenborn, Abwehrspieler Uli Pechtold von Bayern Hof, Mittelfeldfeldspieler Hans-Günter von de Fenn aus Regensburg sowie die Angriffsspieler Wolfgang Holoch (Stuttgarter Kickers), Karlheinz Meininger (SC Zwiesel) und Hans-Otto Hiestermann aus Fürstenfeldbruck. Mit diesem Team wollte, ja musste Nürnberg zurück in die Bundesliga. Doch die Harmonie der erfolgreichen Saison 1973/74 war weg, und die selten überzeugende Tilkowski-Elf kam in der Tabelle nicht voran. Nachdem es am 23. November beim 1:4 gegen Borussia Neunkirchen sogar die erste Heimniederlage nach anderthalb Jahren gesetzt hatte, rutschten die Franken zum Ende der Vorrunde bis auf Platz neun ab. Als auch die Rückrunde nur dahintröpfelte, kamen am 31. Mai 1975 lediglich 5.500 Zahlende zum 1:1 gegen Röchling Völklingen und erteilten dem FCN damit die Quittung per Minusrekord.
1973/74 war Borussia Dortmund hauchdünn an der Pleite vorbeigeschlittert. In der Regionalliga West lief der Europapokalsieger von 1966 mit einem bunt zusammengewürfelten Kader (Trainer Janos Bedl: „Ich kann mit elf Stühlen auch kein Wohnzimmer einrichten“) lediglich als Sechster ein. Als der Konkurs drohte, übernahm Heinz Günther, Direktor des Bergwerks Gneisenau, die Führung und leitete mit dem Verkauf der vereinseigenen Sportanlage an der Brackeler Straße die Sanierung ein. Dennoch blieb ein Schuldenberg in Höhe von 1,3 Mio. DM, musste der BVB mit einem Mini-Etat in die erste Zweitligasaison gehen. Den Spielern wurden die Bezüge „brutal gekürzt“ (Torhüter Horst Bertram), viele gingen halbtags arbeiten. Ein Konsortium aus Stadt, Industrie und Handel sorgte dafür, dass der BVB die Auflagen schließlich erfüllte und die Zweitligalizenz erhielt. Zum Glückstreffer wurde das Kölner Pech, aus dem Rennen als Gastgeberstadt der WM 1974 geflogen zu sein, weil das Müngersdorfer Stadion nicht pünktlich fertig wurde. Daraufhin rückte die mit 54.300 Plätzen für die WM eigentlich zu kleine Billiglösung Westfalenstadion nach und avancierte im Laufe der Saison 1974/75 zur Goldgrube für den angeschlagenen BVB. Die ungewöhnliche reine Fußballarena erwies sich als stimmungsvoller Fanmagnet, der die Fans selbst zu Spielen gegen Gegner wie Göttingen 05 oder Rot-Weiß Oberhausen lockte (jeweils 32.000). Statt der vor Saisonbeginn anvisierten durchschnittlich 7.000 Zahlenden pro Spiel verbuchte der BVB mehr als 24.000, was viel frisches Geld in die Kassen des von Heinz Günther mit eiserner Hand geführten Klub spülte. Sportlich lief es durchwachsen, war der BVB zwar lange im Aufstiegsrennen dabei und erreichte zudem das Halbfinale im DFB-Pokal, agierte aber selten souverän und musste am Ende Meister 96 sowie Vize Uerdingen wegziehen lassen. Dennoch wurde 1974/75 die Grundlage für die erfolgreiche Aufstiegssaison 1975/76 gelegt – nicht zuletzt durch den im Oktober 1974 aus Amsterdam gekommenen Zoltán Varga, dessen Debüt gegen die DJK Gütersloh sagenhafte 45.000 Fans ins Westfalenstadion lockte. Ein Stadion an Vereinsretter!
Tradition ohne Zukunft
Als letzter Meister der Regionalliga Südwest und Aufstiegsrundenteilnehmer 1974 gehörte Borussia Neunkirchen zu den Favoriten in der Südstaffel. Doch die Fußballwelt in der Stahlstadt im Saarland hatte sich verändert, seit die Borussia 1967/68 zuletzt in der Bundesliga gespielt hatte. Die Strukturkrise in der Stahl- und Bergbaubranche erwischte den Klub mit voller Wucht, denn die Verbindungen zwischen Schwerindustrie und Fußballklub waren in Neunkirchen enger und existenzieller als anderswo. Auch die Schlossbrauerei, ebenfalls verlässlicher Finanzpartner der Borussia, litt unter dieser Situation, denn die Kaufkraft in der Stadt ging kontinuierlich zurück. Das kleine Neunkirchen, dessen Kraft und Stolz stets aus Arbeit und Kumpelgeist geformt gewesen waren, hatte im zunehmend von finanzkräftigen Großstadtklubs beherrschten Spitzenfußball keine Chance mehr. Das Spieljahr 1974/75 verschärfte den Niedergang, denn unter Trainer Erwin Türk rutschten die Borussen früh in die Abstiegszone und fanden nicht aus ihr heraus. Daraufhin blieb das Publikum zunehmend daheim. Selbst den Auftritt von Bundesligaaspirant Karlsruher SC wollten am 8. Juni 1975 nur noch 1.300 Unverdrossene sehen – eine Woche zuvor war Neunkirchens Abstieg durch ein 1:4 in Schweinfurt besiegelt worden. Acht Spiele in Folge mit insgesamt 1:15 Punkten hatten den Saarländern sämtliche Hoffnungen geraubt. Fortan liefen also Teams wie Blau-Weiß Oberthal oder Union Hülzweiler im Ellenfeld auf, wo sechs Jahre zuvor noch der FC Bayern gastiert hatte. Zwar gelangen der Borussia 1978/79 und 1980/81 zwei weitere Kurzgastspiele in der 2. Bundesliga, die Saison 1974/75 markiert jedoch den Beginn des Niedergangs eines Vereins, der 2023/24 in der sechsthöchsten Spielklasse am Ball ist.
Dass der VfR Mannheim, Deutscher Meister von 1949, bei der Zweitligagründung dabei war, kam einem mittleren Wunder gleich. Als Regionalligaaufsteiger waren die Rasensportler 1973/74 eigentlich chancenlos gewesen. Doch weil mit Hessen Kassel, Jahn Regensburg und dem Freiburger FC gleich drei in der Qualifikationstabelle deutlich besser positionierte Teams auf den Abstiegsplätzen landeten, gehörten die Mannheimer zu den 20 auserwählten Süd-Zweitligisten. Angesichts eines Zuschauerschnitts von 5.512 im letzten Regionalligajahr und zahlreichen Derbys in der 2. Bundesliga ging man im Rhein-Neckar-Stadion durchaus optimistisch in die Spielzeit 1974/75. Nach Niederlagen gegen Neunkirchen (1:3) und in Völklingen (1:5) feierten 13.000 Fans im dritten Spiel auch ein 2:1 gegen den TSV 1860 München, das aber nicht die erhoffte Erfolgsgrundlage brachte. Später gelang der Elf von Trainer Benzler noch ein überraschendes 3:1 gegen den 1. FC Nürnberg, mit dem der VfR aber nur kurz die Rote Laterne abgab. Gegen den Waldhof setzte es zwei Derbyniederlagen, kamen immerhin noch einmal 14.000 ins Rhein-Neckar-Stadion, ehe ein 1:3 im tristen Kellerduell bei Wormatia Worms vier Spieltage vor Schluss alle Lichter ausgehen ließ.
Werksklubs
1974 betrachtete man den VfL Wolfsburg in der VW-Stadt eher als Lieferanten für Olympische Goldmedaillen in Einzeldisziplinen wie Judo denn als attraktive Fußballmarke. 1970 hatten die VfL-Kicker zwar die Aufstiegsrunde zur Bundesliga erreicht, nach dem 1:2-Auftakt in Offenbach lästerte der „kicker“ jedoch: „Wolfsburg spielte so bieder wie nur wer“. Vier Jahre später waren die „Wölfe“ unter den Gründungsmitgliedern der 2. Bundesliga Nord und präsentierten sich unter ihrem ungarischen Trainer Imre Farkaszinski erneut „bieder wie nur wer“. Bereits im Dezember 1974 zeichnete sich der Abstieg ab. Im Vergleich zur Profikonkurrenz aus Dortmund, Hannover oder Bielefeld standen die Werkskicker allerdings auch voll im Arbeitsalltag und durften lediglich an drei Wochentagen statt um 16 Uhr bereits um 14 Uhr gehen, um trainieren zu können. Ein 6:2 vor 2.900 Zuschauern im Stadion am Elsterweg gegen Olympia Wilhelmshaven (nach 1:2-Rückstand) weckte kurz vor Weihnachten noch einmal die Hoffnung auf den Klassenerhalt, die vier Tage später mit einem 2:10-Debakel beim FC St. Pauli jedoch brutal zerstört wurde. Im Januar 1975 löste Fritz Schollmeyer den abgangsmüden Farkaszinski ab und konstatierte nach acht Niederlagen in Folge: „Der Verein wird nicht nach Profibedingungen geführt. Er hat keine Zukunft, und wenn sie in der nächsten Saison noch so viele Spieler holen!“. Kapitän und Torjäger Wilfried „Wanze“ Kemmer ergänzte: „Arbeiten und Fußball auf diesem Niveau vertragen sich nicht“.
Mit drei Siegen und einem Unentschieden startete Röchling Völklingen unter dem früheren Braunschweiger Meistertrainer Helmuth Johannsen hoffnungsvoll und profitierte vor allem von seinem Luxemburger Neuzugang Gilbert Dussier, der gleich viermal traf. Dann verletzte sich der Torjäger, rutschten die Stahlstädter mit 5:13 Punkten aus der Spitzengruppe und wurden zur grauen Mittelfeldmaus. Es gelangen zwar noch Überraschungen wie ein 5:0 gegen den späteren Meister Karlsruhe und ein 1:1 beim 1. FC Nürnberg, doch Völklingen hatte weder etwas mit der Titelfrage noch mit dem Abstiegskampf zu tun. Das Publikum blieb daheim, und in der Röchling-Familie, geld- und namensgebendes Herz des lokalen Leistungsfußballs sowie Betreiber der Völklinger Hütte, größter Arbeitgeber der Stadt, dachte man daraufhin sogar über eine Lizenzrückgabe nach. Schon in den letzten Regionalligajahren hatte die Röchling-Dynastie dem Verein angesichts durchschnittlich kaum 3.000 Zuschauern wiederholt unter die Arme greifen müssen und im Sommer 1974 das Stadion für die 2. Bundesliga auf 15.000 Plätze erweitert. Als das Völklinger Ziel Bundesliga schon in der Zweitliga-Auftaktsaison in derart unerreichbare Ferne geriet, setzte Ernüchterung ein, die drei Jahre später tatsächlich zur Lizenzrückgabe führte.
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Luxemburg. Geschichte einer Fußball-Liebe
Im umfassenden Strukturwandel des Ruhrgebiets und seines Fußballs war die SpVgg Erkenschwick Anfang der 1970er Jahre das wohl letzte Kumpelidyll im Leistungsfußball. Heinz Götzen, Bergbau-Angestellter und Vorsitzender der lokalen SPD-Fraktion, führte den Verein mit patriarchalischer Fürsorge, viele Spieler arbeiteten mit erster Steuerkarte auf Zeche und mit zweiter als Vertragsspieler, das Gros der Mannschaft kam aus der Region. Gerd Ortmann, Dieter „Moritz“ Walter, „Kalla“ Seidenkranz, Peter Anders, „Bobby“ Schwamberger, Gerd Deutschmann, Jupp Laufer und Horst Behler waren sogar waschechte Erkenschwicker, während Kapitän Seidenkranz 1972 sagte: „Bei uns wurde dreimal in der Woche trainiert, aber noch nicht mal da konnten alle Spieler aus beruflichen Gründen pünktlich erscheinen.“ 1974 führte Fritz Langner, gefürchteter „Schleifer“, den Kumpelklub in die 2. Bundesliga Nord, in der sich die Spielvereinigung unbedingt etablieren wollte. Dafür griff die traditionell eher vorsichtig agierende Klubführung sogar erstmals tief in die Kasse. 185.000 DM verschlangen die fünf Neuzugänge Erken (Solingen), Häming (Duisburg), Schymetzek (Lüdenscheid), Schramm (Herne) und Philipp (Eintracht Gelsenkirchen) zur Saison 1974/75. Trainer war nun der Ex-Dortmunder Heinz Murach, trainiert wurde jetzt viermal die Woche und das Stimberg-Stadion wurde sukzessive ausgebaut. Alles war bereit für Profifußball im Kumpelland Erkenschwick. Hinter den „Schwickern“ standen neben Präsident und SPDler Götze auch CDU-Mann Jupp Serger sowie überhaupt die lokale Politik, die der SpVgg einen Zuschuss von 120.000 DM für die Saisonplanung zur Verfügung stellte. Noch boomte Erkenschwicks Kernindustrie, registrierte man auf Zeche Ewald Fortsetzung mit 1,47 Mio. Tonnen Steinkohle sogar einen Rekord für die Ewigkeit. In der 2. Bundesliga lief es zunächst, und nach einem 2:1-Auftaktsieg bei Olympia Wilhelmshaven und einem 2:1 gegen Schwarz-Weiß Essen grüßte die Stimberg-Elf am 10. August 1974 sogar von der Tabellenspitze der Nordstaffel. Nach dem anschließenden 1:3 in Mülheim lief jedoch nichts mehr, und der Tiefpunkt war das 1:7 bei Hannover 96. Erst als Fritz Langner Anfang November zurückkehrte glückte die Wende, stand am Ende nach Unentschieden in Wattenscheid (1:1) und gegen Gütersloh (2:2) der hauchdünne Klassenerhalt. Allerdings auch ein Schuldenberg sowie große Ernüchterung, die 1975/76 im zweiten Jahr zum Abstieg führten.
Geplatzte Bundesligaträume
Der Auftakt ging nach allen Regeln der Kunst daneben. Mit 1:5 unterlag Schweinfurt 05 am 3. August 1974 beim VfR Heilbronn. Das war nicht der Saisonstart, den man sich in der Kugellagerstadt vorgestellt hatte. Nach der hauchdünnen Qualifikation für die neue 2. Bundesliga Süd hatte man im Willy-Sachs-Stadion eigentlich zum Aufbruch geblasen und schielte auf die Bundesliga. Mit Lothar Emmerich war ein 33-jähriger Vizeweltmeister vom österreichischen Bundesligisten Austria Klagenfurt gekommen, um die „Schnüdel“ nach oben zu bringen. Drei Tage nach der Auftaktniederlage zahlten trotz Dauerregen immerhin 5.500 Fans beim Schweinfurter Heimauftakt gegen den FC 08 Homburg ihren Obolus und jubelten über einen souveränen 2:0-Sieg ihrer Mannschaft. Danach lief es, und mit19:3-Punkten preschte die Elf von Trainer István Sztáni unwiderstehlich nach oben. Es gab einige herbe Rückschläge wie das 0:6 bei Spitzenreiter KSC Anfang November, doch die Schweinfurter rappelten sich immer wieder auf. Im Mai standen die Wochen der Wahrheit – und es wurde bitter für die 05er. Einem 1:4 in Pirmasens folgte sechs Tage später eine 3:4-Heimniederlage im zweiten Gipfeltreffen binnen einer Woche gegen Bayern Hof, nach dem 8.500 „Schnüdel“-Fans nachdenklich nach Hause gingen. Als es dann auch noch in Darmstadt eine Niederlage gab, war der Bundesligazug weggefahren, fehlten am Ende sieben Tore auf Vizemeister Pirmasens. Ein Jahrspäter stieg Schweinfurt aus der 2. Bundesliga ab.
Peter Scherdel, Inhaber einer Privatbrauerei und Präsident des FC Bayern Hof, hatte zu den größten Gegnern der 2. Bundesliga gehört. Verhindern konnte er sie nicht, und so gingen die Oberfranken 1974/75 mit dezentem Optimismus ins erste Spieljahr der 2. Bundesliga Süd. Der Start war holprig, doch in der Rückrunde war die Mannschaft unter dem zurückgekehrten Erfolgstrainer Heinz Elzner kaum zu stoppen. Nach Siegen über den 1. FC Nürnberg (3:0), bei Schweinfurt 05 (3:2) und Spitzenreiter Karlsruher SC (3:0vor 16.000 Zuschauern) reiste man am 31. Mai 1975 voller Optimismus zum Endspiel um Platz 2 nach Pirmasens und verspielte beim 2:3 den ersten Matchball. Eine Woche später sahen 70.000 Zuschauer im Münchner Olympiastadion, darunter 3.000 mitgereiste Hofer, ein 0:0 gegen den TSV 1860. Zweiter Matchball weg. Im abschließenden Heimspiel gegen Darmstadt 98 brauchte der FC Bayern Hof nur noch einen Sieg für Relegationsplatz 2 – und scheiterte vor 16.000 verzweifelten Fans auf der Grünen Au an seinen Nerven. Nach dem 1:2 stürzten die Schwarz-Gelben auf Platz vier ab, verloren Ausnahmetalent Ludwig Schuster an den Namensvetter aus München, kamen nie wieder in Bundesliganähe und verschwanden 1978 in der Bayernliga.
Mit Franz Gerber hatte der FC St. Pauli im Sommer 1974 seinen Top-Torjäger an den Wuppertaler SV verloren, begrüßte mit Rüdiger Wenzel (VfB Lübeck), Werner Baumann (BU) sowie den Dänen Petersen und Hansen aber attraktive Neuzugänge. Zunächst offensiv- wie heimschwach, legte die Mannschaft um Kapitän Horst Wohlers erst nach einem 10:2 gegen den VfL Wolfsburg kurz vor Weihnachten 1974 den Turbo ein und wurde zur besten Rückrundenmannschaft der Liga. Nach dem 1:4 in Dortmund am 3. Mai 1975 gewann St. Pauli sämtliche noch ausstehenden sieben Spiele und stand am letzten Spieltag trotz 2:0 gegen Erkenschwick mit leeren Händen da, weil Bayer Uerdingen Platz 2 mit einem erzitterten 0:0 gegen Absteiger Oberhausen erfolgreich verteidigt hatte. Fatal der Zuschauerzuspruch (3.395 im Schnitt, das wichtige Abschlussspiel gegen Erkenschwick sahen lediglich 4.000), der Vizepräsident Werner Velbinger stöhnen ließ: „Hat in der Zwei-Millionen-Stadt Hamburg die 1. Bundesliga wirklich eine zehnfach höhere Qualität im Vergleich zur 2. Liga zu bieten? Bei aller Bescheidenheit: wohl kaum. Im Augenblick scheint es schwieriger, den FC St. Pauli in Hamburg zu verkaufen als Heizöfen am Äquator.“ 1977 schaffte St. Pauli mit massiven Investitionen den Aufstieg, doch als der Klassenerhalt in der Bundesliga verfehlt wurde ging es rasant nach unten. 1979 verschwand der Klub im Amateurlager.
Das letzte Geld für Feierabendfußballer
Der Zenit der Klubgeschichte war schon überschritten, als die 2. Bundesliga kam. 1973/74 hatte der HSV Barmbek-Uhlenhorst, verstärkt durch den aus Südafrika nach Hamburg zurückgekommenen Ex-HSVer „Charly“ Dörfel, um den Aufstieg in die Bundesliga mitgespielt. Vater des Erfolges war der Schrott- und Altpapierhändler Hermann Sanne, der seit Mitte der 1960er Jahre einiges in den Klub investiert hatte, um ihn zur Hamburger Nummer zwei hinter dem HSV zu machen. Als die Blau-Gelben am 3. August 1974 mit einem 0:4 bei Bundesligaabsteiger SC Fortuna Köln in ihre erste und einzige Zweitbundesligasaison starteten, waren Dörfel und Sanne schon nichtmehr dabei. Mit Baumann, Greif und Goldbach waren zudem drei weitere Stammspieler gegangen, die BU mangels Geld mit Amateuren ersetzt hatte. Zudem mussten die Blau-Gelben im alten HSV-Stadion am Rothenbaum spielen, weil der eigene Platz an der Steilshooper Straße nicht zweitligatauglich war. Es gab ein paar Überraschungen wie das 1:0 gegen Borussia Dortmund am 16. Februar 1975 (Dietrich Siemering traf vor 3.500 Zuschauern) oder das 1:1 gegen Uerdingen, die Regel aber waren Niederlagen. Nach dem 0:2 in Gütersloh am 12. April stand der Abstieg vorzeitig fest, stöhnte Geschäftsführer Klaus Fulda: „Unsere Mannschaft spielt schon seit Wochen glücklos. Da helfen uns auch die besten Kritiken nichts, wenn letztendlich doch die Punkte beim Gegner bleiben“. Weil angesichts von 500.000 DM Schulden sogar der Konkurs drohte regte BU-Fan Gert Ribatis, Nachrichtensprecher beim NDR, die Produktion einer Benefiz-Langspielplatte an. Für jene kamen Schlagerstars wie Gitte, Heino und Costa Cordalis zusammen, entstand der Kultsong „Mein letztes Geld, geb‘ ich für Fußball aus, für Barmbek-Uhlenhorst“, sammelte man so viel Geld ein, dass der Konkurs vermieden werden konnte.
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Dann jetzt unsere Ausgabe #35 ordern, in der wir ausführlich über die Geburt und die erste Saison der 2. Bundesliga 1974/75 berichten.