KURZ Geschichte
1945 - Sozialistischer Fußball im Ostblick
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die europäische Landkarte vor allem im Osten durch Grenzverschiebungen und den sowjetischen Einfluss an vielen Stellen neu gezeichnet. Das spiegelte sich auch im Fußball, der zunächst die Migrationsbewegungen durch Vertreibung und Umsiedlung unmittelbar nach Kriegsende mitging. So gründeten im Westen des heutigen Polens ukrainische Migranten aus dem nun zur UdSSR gehörenden polnischen Osten neue Vereine, die die Sportstätten jener deutschen Klubs übernahmen, deren nach Westen geflüchtete Mitglieder wiederum in der angehenden Bundesrepublik neue Vereine gründeten. So entstand beispielsweise 1948 mit dem VfB Walsrode eine Art Exil-Nachfolger des VfB Königsberg. Sudetendeutsche Vertriebene aus Gablonz (heute Jablonc nad Nisou), errichteten nordöstlich von Kaufbeuren auf dem Gelände einer ehemaligen Sprengstofffabrik sogar eine neue Stadt, die den Namen Neu-Gablonz erhielt und in der etwa 18.000 aus dem Sudetenland Vertriebene und Geflohene die Fußballtradition des ehemaligen BSK Gablonz fortsetzten.
Abgesehen von diesen migrationsbedingten Veränderungen erhielten die Länder des angehenden Warschauer Paktes im Verlauf der zweiten Hälfte der 1940er Jahre ein von Moskau ausgehendes, einheitliches Sportsystem, das an Betriebs- und Arbeitsstätten gebunden war. In der UdSSR waren die bürgerlichen Vereine und Strukturen nach der Oktoberrevolution (1917) und dem Bürgerkrieg (1918-21) durch Betriebssportgruppen ersetzt worden, die 1929 unter die Obhut der Gewerkschaften gekommen waren. Sport-Dachorganisationen wie Lokomotive (Eisenbahner), Schachtjor (Bergleute), Spartak (Lebensmittel) oder Metallist (Metallarbeiter) eröffneten anschließend in vielen Städten lokale Filialen – ebenso wie die behördlichen Gemeinschaften Dinamo (Polizei) und CSKA (Armee). Das führte zu einem einheitlichen Mannschaftssystem, dem jeglicher Individualismus fehlte.
Diese Vereinsbindung entweder zum Trägerbetrieb, einer Behörde, der Armee oder der Polizei wurde von den nach dem Zweiten Weltkrieg entstehenden sozialistischen Volksrepubliken Polen, Rumänien, Bulgarien, Albanien, Ungarn, DDR und Tschechoslowakei kopiert. Am sichtbarsten war dies bei den Sportgemeinschaften der Polizei, die in der Sowjetunion den Namen „Dinamo“ trugen. Ursprünglich war Dinamo der Sportverband der Energieindustrie gewesen, dessen Kontrolle jedoch bald das Innenministerium übernommen hatte, woraufhin der Verband unter dem gefürchteten Geheimpolizeichef Feliks Dzierżyński zur mächtigen Sportorganisation der Sowjetunion aufgestiegen war. In nahezu jedem sozialistischen Land entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg „Dinamo“-Teams, die oft sogar das Wappen der sowjetischen Urzelle übernahmen, das ein „D“ in kyrillischer Schreibschrift darstellte.
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Entwicklung in den einzelnen Ostblockländern
Albanien
Das während des Krieges zunächst von Italien und dann von Deutschland besetzte Albanien stand nach Kriegsende erst an der Seite von Jugoslawien und damit der Sowjetunion. Als Tito mit Stalin brach, brach Albaniens Staatschef Enver Hoxha wiederum mit Tito und blieb an der Seite Stalins. Das dünne Vorkriegsnetz an Fußballvereinen im 1945 noch stark ländlich geprägten Agrarland Albanien wurde vergesellschaftet und dem Betriebssport unterstellt. Der einst führende (bürgerliche) SK Tirana musste den Namen KS 17 Nëntori annehmen (nach dem 17. November, dem Tag der Befreiung Tiranas von der deutschen Besatzung) und rutschte aus der Spitze. Die bildeten fortan der neugegründete KS Dinamo als Klub des Innenministeriums und der Geheimpolizei sowie der ebenfalls neue KS Partizani als Armeeverein. Nahezu alle anderen Vereine trugen in den frühen 1950er Jahren den Einheitsnamen „Puna“ (Arbeit), ehe ab Mitte der 1950er Jahre alte Namen wie Vllaznia Shkodër oder Apolonia Fier wieder angenommen werden konnten. Nach dem Bruch mit der Sowjetunion (1961) wandte sich Albanien China zu.
Bulgarien
In Bulgarien hatte eine von Todor Schiwkow angeführte Partisanengruppe am 9. September 1944 gemeinsam mit der Roten Armee das autoritäre Regime von Zar Boris III. gestürzt und das Land anschließend mit Hilfe der Sowjetunion in eine staatssozialistische Gesellschaft verwandelt. 1948 wurden betriebliche Sportgruppen gebildet, denen die Traditionsvereine unter neuem Namen beizutreten hatten. So wurde aus Levski Sofia, fünffacher Landesmeister zwischen 1933 und 1947, die Polizeimannschaft Dinamo, während Levskis Erzrivale (und sechsfache Landesmeister, zuletzt 1943) Slavia als der Baugewerkschaft unterstellte Sportgruppe den Namen Strojtel („Baumeister“) erhielt. Während Slavia bzw. Strojtel als einst in bildungsbürgerlichen Kreisen verankerter Klub bald aus der nationalen Elite ausschied, blieb Levski/Dinamo in der nationalen Spitze, erhielt aber mit dem 1948 als CDNV gegründeten Armeeklub CSKA einen starken Konkurrenten. Das Duell zwischen Armee- und Polizeiverein sollte Bulgariens Spitzenfußball fortan prägen. 1957 wurden die alten Namen wieder erlaubt, spielte Dinamo wieder als Levski und Strojtel als Slavia.
DDR
Die sowjetische Besatzzone wurde 1949 zur DDR und damit zum eigenständigen Staat. Schon während der Zweiten Weltkriegs waren einige deutsche Kommunisten, die Deutschland unter den Nazis hatten verlassen müssen, in Moskau auf deren Aufbau nach Kriegsende vorbereitet worden. Darunter war neben dem ersten Staatschef Walter Ulbricht auch der aus dem Saarland stammende Erich Honecker, zu dessen Aufgaben als Vorsitzender der Freien Deutschen Jugend (FDJ) der Aufbau des Sports gehörte. Sämtliche bis 1945 bestehenden Vereine wurden aufgelöst und zunächst durch lokale bzw. kommunale Sportgruppen ersetzt. Ab 1946 entstanden dann unter der FDJ-Führung betriebsnahe Sportgemeinschaften, die die Sportgruppen ersetzten. Man orientierte sich nun am Sowjetsystem mit an den Gewerkschaften ausgerichteten Sportvereinigungen wie „Motor“, „Empor“ oder „Stahl“. Die meisten Sportkollektive waren Trägerbetrieben oder Kombinaten angegliedert. 1954 entstanden innerhalb der Sportvereinigungen Schwerpunktklubs, in denen explizit der Leistungssport gefördert wurde. Ausgewählte Fußballsektionen wiederum wurden ab Ende 1965 als „FC“ verselbständigt. Die Masse der im Spielbetrieb befindlichen Teams stellten jedoch Betriebssportgemeinschaften (BSG), von denen nach Gründung der Fußballklubs nur noch wenige in die Oberliga gelangten.
Jugoslawien
Jugoslawien ging unter Partisanenchef und Marschall Tito einen eigenen Weg, nachdem es 1948 zum Bruch zwischen Tito und Stalin gekommen war. In dem Vielvölkerstaat spielte Fußball eine wichtige Rolle für die Herausbildung einer jugoslawischen Identität. Zugleich wurden Vereine und Verbände aber nach sowjetischem Vorbild verstaatlicht und dem Betriebssport unterstellt. Mit Dinamo Zagreb, 1945 entstanden durch die Fusion zweier bürgerlicher Vereine, Hajduk Split, das während des Zweiten Weltkriegs mehrfach Propagandaspiele für Tito bestritten hatte und seinen Namen deshalb behalten durften, sowie den nach dem Krieg gegründeten Belgrader Teams Roter Stern (akademisches Milieu) und Partizan (Armee) dominierten fortan vier Mannschaften den nationalen Fußball.
Polen
In Polen hatten sich die Landesgrenzen kräftig nach Westen verschoben. Das Land lag nun zwischen den Flüssen Oder/Neisse und Bug. Politisch stand es an der Seite des Befreiers aus Moskau. Nach einer Übergangsphase, als Traditionsvereine wie Polonia Warschau, Warta Poznan und Gwardia Kraków Meister wurden, kam es 1948 zum Bruch mit den alten Strukturen. Sämtliche Vereine wurden Betrieben oder staatlichen Institutionen unterstellt. Nationale Sicherungs- und Schutztruppen spielten nun als Gwardia, die Armee erhielt WKS-Vereine (das „W“ stand für Wojskowy, Armee) und eine 1949 gebildete nationale Sportbehörde unterstand der Partei. Insgesamt genossen Polens Vereine aber vergleichsweise große Freiheit. 1952 wurde der mehrfache Vorkriegsmeister Ruch Chorzów, nun Unia, Meister und läutete eine bis in die 1970er Jahre währende Dominanz der Teams aus dem oberschlesischen Hüttenrevier ein. 1955 durfte der Klub zudem zum Traditionsnamen Ruch zurückkehren. Rivalen waren der 1948 gegründete Nachbar KS Górnik („Hüttenarbeiter“) Zabrze sowie der Warschauer Armeeklub WKS Legia. Traditionsvereine mit bürgerlichem Hintergrund wie Polonia Warschau oder Cracovia Kraków verschwanden in unterklassigen Ligen.
Rumänien
Rumänien war 1940 unter General Ion Antonescu in den Zweiten Weltkrieg eingetreten, nachdem König Carol II zum Rücktritt gezwungen worden war. Im August 1944 übernahm die Rote Armee die Kontrolle in Bukarest und leitete die Errichtung eines kommunistischen Regimes ein. Am 30. Dezember 1947 wurde die Volksrepublik Rumänien ausgerufen, kam es zur Kollektivierung nach sowjetischem Vorbild. Der 1932 eingeführte Profifußball wurde verboten, die bürgerlichen Klubs vergesellschaftet und Industriebetrieben bzw. staatlichen Organisationen unterstellt. Mit Venus Bukarest sowie Chinezul und Ripensia Timișoara wurden drei der renommiertesten und beliebtesten Vereine des Landes zwangsaufgelöst. Die Bukarester Klubs Unirea Tricolor und Ciocanul wurden im dem Innenministerium unterstellten neugegründeten CS Dinamo zwangsvereint, während Rapid fortan als Locomotiva auflief. Bereits am 7. Juni 1947 war mit der Asociația Sportivă Armata (ASA) zudem ein Armeeverein entstanden, aus dem später der europäische Landesmeister 1986 Steaua (Stern) wurde. Rumäniens Spitzenfußball fokussierte sich nun einseitig auf die Hauptstadt Bukarest und das Duell zwischen Dinamo, Mannschaft des Innenministeriums, und Steaua, Team der Armee, während die traditionsreichen Fußballstädte Arad, Pitești, Ploiești und Craiova in den Hintergrund traten. Timișoara, zu Profifußballzeiten der 1930er und 1940 Jahre Rumäniens heimliche Fußballhauptstadt, verschwand sogar völlig aus dem Fokus.
Tschechoslowakei
Die 1938 zerschlagene und 1945 wiedergegründete Tschechoslowakei stand zunächst im Ringen um die politische Macht zwischen dem Demokraten Edvard Beneš und dem Kommunisten Klement Gottwald, das letzterer 1948 in freien Wahlen gewann. Gottwald wandte sich umgehend der UdSSR zu, womit auch in der angehenden ČSSR bürgerliche Vereine und Verbände durch Betriebssportorganisationen ersetzt wurden. 1953 entstanden analog der DDR 13 Sportorganisationen mit Namen wie Spartak (Schwerindustrie), Baník (Bergbau) oder Sokol (Falke, der Name ging auf eine alte Jugendorganisation zurück). Sparta Prag stand unter Trägerschaft der Maschinenfabrik ČKD, durfte seinen Namen aber behalten und spielte weiter in der nationalen Spitze mit. Slavia wiederum rutschte als Team von Gottwalds Gegenspieler Beneš aus der Elite und musste als Dynamo auflaufen. Erst 1964 durfte man zum Namen Slavia zurückkehren. Neue Nummer 1 war die Armee-Elf Dukla Prag, benannt nach einem slowakischen Bergpass, der 1944 Schauplatz einer entscheidenden Schlacht im Zweiten Weltkrieg gewesen war.
Ungarn
In Ungarn hatte Regierungschef Horthy im Oktober 1944 angesichts der sich abzeichnenden Kriegsniederlage einen Separatfrieden mit den Alliierten schließen wollen, war aber von den faschistischen „Pfeilkreuzlern“ daran gehindert worden. Im April 1945 wurde das Land von der Roten Armee befreit. Der nationale Fußball war bis dahin von drei Budapester Vereinen beherrscht worden: MTK, Ferencváros sowie Újpest. MTK war als jüdischer Verein bereits 1940 zerschlagen worden. Ferencváros stand unter Kontrolle der faschistischen „Pfeilkreuzer“, und Újpest, lange von einem jüdischen Unternehmen unterstützt, rutschte zunächst aus der Elite, stieg nach Kriegsende aber erneut zum führenden Team auf. Bis 1948 konnten die Vereine weitestgehend unbehelligt spielen, ehe auch in Ungarn die Vergesellschaftung des Fußballs und seiner Vereine einsetzte. Der wiedergegründete MTK kam als Textiles SE zur Textilarbeitergewerkschaft und wurde später als Bástya bzw. Vörös Lobogó (Rote Fahne) zum Klub der Geheimpolizei ÁVH. Der populäre Ferencváros TC zahlte einen hohen Preis für seine Nähe zu den Pfeilkreuzern und wurde als ÉDODSZ der unbedeutenden Lebensmittelgewerkschaft unterstellt. Erst 1957 durfte man zum Traditionsnamen zurückkehren. Újpest kam als Dósza zum Innenministerium und trug ein dem Moskauer Dinamo-Wappen ähnliches Symbol. Neue Nummer eins war nun der aus Stadtteilklub Kispestí AC hervorgegangene Honved SE, der dem Verteidigungsministerium unterstand. Für ihn liefen unter anderem Ferenc Puskás und József Bozsik auf.