Zum Tod von Mel Thomas

Mel Thomas war Archivar, Historiker und Pressemann des Fußballs in Wales. Niemand kannte sich so gut aus in der Fußballhistorie des kleinen Landes. Nun ist er im Alter von 71 Jahren verstorben. Sein Tod hinterlässt eine gewaltige Lücke im walisischen Fußball.

In unserer Ausgabe 6 haben wir uns für das "GLOBAL GAME Wales" mit Mel über die Liga und den Fußball im Land unterhalten. Aus Anlass seines Todes veröffentlichen wir das Interview mit ihm noch einmal.

Unser Mit-Herausgeber Hardy Grüne war seit vielen Jahren mit Mel befreundet. In seinem Blog hat er einen persönlichen Nachruf veröffentlicht.

Im Gespräch: Mel Thomas

Fußball in Wales


Mel ap Ior Thomas (64) lebt im nordwalisischen Blaenau Ffestiniog in Snowdonia und versorgt seit Gründung der walisischen Nationalliga die Presse mit statistischen und historischen Informationen zu den jeweiligen Partien. Die Entwicklung des Fußballs in Wales hat er seit Jahrzehnten verfolgt und dokumentiert.

Mel, wie steht es nach der EM in Frankreich um den walisischen Fußball?

Die EM hat ein gewaltiges Interesse vor allem bei der Jugend ausgelöst. Das wird sich hoffentlich positiv auf die Nachwuchsförderung auswirken, die für ein Land unserer Größe ausgezeichnet strukturiert ist. Und die Bonuszahlungen der UEFA kommen dann hoffentlich dem Ligasystem zugute.

 

Wie wichtig war der EM-Erfolg für den Ligafußball in Wales?

Sehr wichtig. Die ständigen TV-Übertragungen von Spielen vor allem aus England ziehen viel Aufmerksamkeit von den heimischen Ligen. Weil die Welsh Premier League (WPL) erst 1992 entstand, ist der Fokus im Land stark auf die englischen Vereine ausgerichtet, und die Väter streifen ihrem Nachwuchs oft schon im Kleinkindalter die Hemden ihrer Lieblingsklubs aus Liverpool oder Manchester über. Mit der EM ist Fußball insgesamt mehr ins Bewusstsein gerückt – und damit auch die heimischen Vereine.

 

Wales gehört zum Vereinigten Königreich, ist aber eigenständiges Mitglied von UEFA und FIFA. Was braucht es für einen Spieler, um für Wales auflaufen zu können?

Entscheidend sind Geburtsort bzw. Eltern oder Großeltern. Wer in Wales geboren ist, darf auch dann für Wales auflaufen, wenn er englische Eltern hat. Wer in England mit mindestens einem walisischen Elternteil geboren wird, ist ebenfalls spielberechtigt – aber dann auch für England. Ashley Williams zum Beispiel, bei der Euro Innenverteidiger, votierte für Wales. Michael Owen hingegen, der auch für Wales hätte spielen können, für England.

 

Es heißt, Wales sei eine Rugbynation. Das wurde nun bei der EM eindrucksvoll widerlegt – nicht zuletzt auch durch die mitgereisten Fans. Welches Standing hat der Fußball im Bezug auf Rugby?

Es gibt ungefähr 50.000 Rugbyspieler im Land – und 300.000 Fußballspieler. Dass Wales eine Rugbynation ist, ist eine Legende. Natürlich hat man im Rugby großes Renommee, und vor allem die Derbys gegen England sind sehr reizvoll. Doch gerade diese Spiele locken sehr viel Eventpublikum an, das eigentlich gar nicht so sehr am Rugby interessiert ist. Weil es im Rugby nicht so eine große Konkurrenz gibt, ist es einfacher, in den Fokus zu gelangen. Aber die Zahlen belegen, dass Wales eigentlich eine Fußballnation ist. 

 

Seit mehr als 100 Jahren verlassen walisische Fußballer das Land, um anderswo ihr Geld zu verdienen. Was hat das für einen Effekt auf die Qualität des walisischen Fußballs?

Da muss man differenzieren zwischen der Nationalmannschaft und dem nationalen Spielbetrieb. Bei der Nationalmannschaft sorgen die in England oder anderswo ausgebildeten Spieler natürlich für eine erhebliche Qualitätsverbesserung. In dieser Hinsicht profitiert Wales stark von der Premier League.

In der heimischen Liga sieht das völlig anders aus. Im Gegensatz zu den großen europäischen Spielklassen ist der Ligabetrieb in Wales kein „big business“. Das heißt, sie ist auch nicht interessant für einheimische Talente oder Profis aus anderen Ländern. In der WPL kann niemand vom Fußball leben, und mit TNS gibt es aktuell auch nur einen einzigen Vollprofiklub. Dennoch sind auch in der WPL Ausländer am Ball. Darunter viele Engländer, die aus Gegenden entlang der Grenze stammen.

 

Die WPL feiert im nächsten Jahr ihr 25jähriges Jubiläum. Wie hat sich die Spielklasse entwickelt?

Es war ein langer Weg und harter Kampf, zumal anfangs von Seiten des Verbandes viele Fehler gemacht wurden. Abfällige Kommentare der „sogenannten walisischen Klubs“ – also jene Klubs, die in Wales ansässig sind aber in England spielen, waren auch nicht wirklich hilfreich. Dazu kommt die völlige Ignoranz der BBC, die in Wales „Bwrdd Bradychu Cymru – „Behörde für den Betrug an Wales“ genannt wird. Ihre Obsession für Rugby grenzt in meinen Augen an kriminelles Verhalten.

Der Standard der Liga hat sich aber enorm weiterentwickelt. Das sieht man auch daran, dass Akteure wie der frühere Nationalspieler Dan Nardiello zurückkehren, um ihre Profikarrieren in der WPL ausklingen zu lassen. Auch das Trainingsniveau hat sich verbessert. Die Trainer sind heute fast alle im Besitz der UEFA-Pro Licence. Wales ist außerdem zu einem anerkannten Standort für Pro-Licence-Ausbildungen geworden. Viele bekannte Spieler wie zum Beispiel Thierry Henry haben Ausbildungskurse in Cardiff besucht, weil die viel besser organisiert sind als in England. 

Zahlreiche Vereine haben sich inzwischen zu „community clubs“ entwickelt, wodurch Talente viel leichter entdeckt und auch gefördert werden können. Insgesamt ist man also auf einem guten Weg.

 

Dennoch ist, wie Du sagst, TNS der einzige Profiklub in der WPL. Was braucht es, um die nationale Liga weiter zu professionalisieren?

Das stimmt, The New Saints sind aktuell der einzige Profiklub. Aber Bangor City hat bereits angekündigt, in der nächsten Saison ebenfalls auf Profitum umzustellen. Man darf auch nicht vergessen, dass das Profitum in der Vergangenheit bei Neath, Llanelli und Barry Town gescheitert ist und zu Insolvenzen geführt hat. Die Klubs sind also entsprechend vorsichtig. Bei TNS klappt es, weil mit Mike Harris ein cleverer Geschäftsmann ein kluges Investment fährt. Vor allem die Entscheidung, das Stadion in Park Hall in ein kommunales Zentrum mit vielerlei Aktivitäten zu verwandeln, hat sich ausgezahlt. TNS wird sich in naher Zukunft sicher selbst tragen können.

Bei einigen anderen Vereinen gibt es aber durchaus Budgets, die zumindest Halbprofitum ermöglichen. Bala Town wird von einem lokalen Geschäftsmann unterstützt und zahlt durchschnittlich 900 Pfund pro Woche und Spieler. Auch Bangor City hat dank eines neuen Konsortiums sein Budget erhöhen können. Und Connah’s Quay wird unterstützt von der Arbeitsvermittlungsagentur „gap-Personnel“, dessen Besitzer mit dem Klub in die Europe League will.

Das sind aber die Ausnahmen, und nicht die Regel. Airbus UK beispielsweise wird trotz seines Namens nicht gerade üppig von Airbus unterstützt. Immerhin hat Airbus das Stadion ausgebaut und eine Akademie eingerichtet. Auch TNS und Connah’s Quay haben übrigens exzellente Akademiestrukturen. Ein besonderer Fall ist Aufsteiger Cardiff Met University. Dort werden die Spieler nicht bezahlt, sondern müssen sogar selbst bezahlen!

 

Obwohl Wales eine der ältesten Fußballnationen ist, sind die Zuschauerzahlen gering. Was kann man tun, um das Interesse zu erhöhen?

Seit ihrer Gründung 1992 steht die Liga im Schatten der Premier League. Jedes Wochenende fahren ganze Busladungen mit Fans nach Liverpool/Manchester, in die Midlands oder nach London. Natürlich ist der Standard des Fußballs in England viel höher, und es fehlt der WPL auch an Tradition, weil die Liga ja noch sehr jung ist. Aber Vielen mangelt es an Loyalität mit dem Mutterland. Da wird über die geringen Besucherzahlen geschimpft aber nicht gesehen, dass man mit dem eigenen Verhalten dazu beiträgt.

Das größte Problem sind die ständigen TV-Übertragungen. Das beginnt am Freitagabend, geht am Samstag ab 11:05 mit der spanischen Liga weiter und endet erst am Sonntagabend um Mitternacht mit den Übertragungen der amerikanischen MLS. Nur am Samstag um 15 Uhr ist man für zwei Stunden konkurrenzfrei, weil da aus Schutz für die englischen Klubs nichts gezeigt werden darf. Aber dann spielen eben auch die englischen Ligen. Termine, an denen ein Verein ohne TV-Konkurrenz auflaufen kann, existieren quasi nicht mehr.

Auch die Übertragungen der Spiele der WPL sind davon betroffen. Bislang hat der walisischsprachige Sender S4C Samstags um 15:45 Uhr ein Livespiel gezeigt. Die englische Premier League und Sky haben dagegen protestiert. Nun darf man erst ab 17:15 Uhr übertragen, und da läuft dann schon wieder Konkurrenzprogramm. Seit diesem Jahr werden immer drei Spiele am Sonntag um 15 Uhr gespielt. Der Verband hat bei der UEFA beantragt, dass dann keine Liveübertragungen laufen dürfen. Der Antrag wurde auf Forderung der Premier League abgelehnt. Gleichzeitig geht von den Geldern, die aus dem englischen TV-Topf an die Amateurvereine fließen, nichts nach Wales. Wales sei ja nicht England, heißt es.

 

Seit dem Scheitern von Barry Town wird die WPL von Klubs aus dem Norden dominiert. Hat der Süden kein Interesse?

Zum einen hat die Welsh League South – also die zweithöchste Spielklasse – aus historischen Gründen sehr großen Einfluss auf den Nationalverband FAW und kümmert sich vor allem um ihre eigenen Interessen. Zum anderen sind die dortigen Stadien häufig in einem schlechten Zustand; haben die Klubs wenig Ehrgeiz. Der letztjährige Absteiger Haverfordwest County beispielsweise will erst wieder aufsteigen, wenn die WPL zum System mit 16 Mannschaften zurückkehrt. Gegenwärtig sind es zwölf mit einer normalen Hin- und Rückrunde im Herbst und einer Auf- bzw. Abstiegsrunde im Frühjahr. Der Klub hat die weitesten Anfahrten in der WPL und will nicht viermal pro Jahr quer durchs Land nach Connah’s Quay fahren. 

Mit Ausnahme von Barry Town United und Penybont FC hat derzeit kein Südklub das Potenzial aufzusteigen.

 

Das Wetter kann rau sein in Wales. Wie wichtig sind Kunstrasenplätze für die WPL?

Sehr wichtig! Die Liga steht ohnehin im Ruf, eine familienfreundliche Klasse mit guten Anlagen und günstigen Eintrittspreisen zu sein. Mit den neuen 3G-Kunstrasenplätzen gibt es nun auch endlich keine Spielausfälle mehr. Außerdem können die Vereine ihre Aktivitäten ausweiten und damit weitere Einnahmen generieren. Bislang haben TNS, Newtown, Llandudno, Cardiff Met University, Airbus UK, Bala Town, Cefn Duids und Aberystwyth Town 3G-Spielfelder. Carmarthen bekommt nächstes Jahr eins, und bei Bangor und Connah’s Quay existieren entsprechende Nebenplätze. 

 

Cardiff City und Swansea City sind die bekanntesten walisischen Klubs. Wie stehen die Chancen, dass sie eines Tags in der WPL auflaufen?

Bei null, solange sie in einer der ersten fünf Ligen Englands auflaufen. Sollten sie da jemals raus­fallen, sind sie vermutlich pleite und könnten als Halbprofiklubs nach Wales wechseln. Das wird aber nicht passieren.

 



Dieses Interview stammt aus Zeitspiel-Ausgabe #6.