ZEITSPIEL Geschichte. Ausgabe #37
Platzverhältnisse
(Von Hardy Grüne)
Der Spruch „Entscheidend ist auf dem Platz“ wird Sepp Herberger, Weltmeistertrainer 1954, zugeschrieben. Stehen sich die Teams auf dem Platz gegenüber, ist alle Theorie Geschichte, geht es um das Hier und Jetzt. Um Zweikämpfe, die gelungene Umsetzung taktischer Vorgaben, das individuelle Können der Akteure und nicht zuletzt Glück und Pech.
Doch „Entscheidend ist auf dem Platz“ ist mehr. Es hat auch etwas mit den Platzverhältnissen zu tun. Nehmen wir den Endspieltag des 4. Juli 1954. In Bern regnete es und Sepp Herberger jubelte. „Fritz-Walter-Wetter“ hieß das damals – nach dem Kapitän der DFB-Elf, der seine Stärken der Legende zufolge auf nassem Boden besser ausspielen konnte. Ob das nun ein fundierter Mythos ist oder doch eher nur Folklore (empirische Untersuchungen gibt es nicht) – im Berner Wankdorfstadion hatte es einen immensen psychologischen Effekt.
Denn „Fritz-Walter-Wetter“ war in den Köpfen der Spieler ein Vorteil: Es war „unser Wetter“. Und im Endspiel gegen den turmhohen Favoriten Ungarn, der ein Jahr zuvor England seinen Heimnimbus auf dem heiligen Rasen von Wembley geraubt hatte und dessen technisches Spiel dem deutschen Kraftfußball deutlich überlegen war, brauchte man jeden Vorteil. Also wurde der Regen vom 4. Juli zu einem von zahlreichen Bestandteilen des „Wunders von Bern“. Nach dem Schlusspfiff holte Fritz Walter die WM-Trophäe symbolträchtig beim wegen des anhaltenden Regens beschirmten FI FA-Chef Jules Rimet ab, während die ungarischen Ballzauberer wortwörtlich bedröppelt dastanden.
„Entscheidend ist auf dem Platz“ kann also auch „Entscheidend ist der Platz“ heißen. Und das gilt keineswegs nur für das Wetter. Der gefürchtete Sandplatz von Gzira auf Malta bereitete nicht nur der deutschen Auswahl immense Probleme. Kleine Dorf- oder Stadtteilvereine generieren bis heute einen spürbaren Vorteil durch gefürchtete Asche- bzw. Grantplätze, auf denen jede Grätsche sichtbare Spuren im Fleisch hinterlässt.
Auch die Tücken der ersten Kunstrasengenerationen ließen Underdogs so manch hohen Favoriten ärgern, da jene unter der Woche nur auf Naturrasen trainieren konnten und mit dem veränderten Ball verhalten auf künstlichem Geläuf nicht klarkamen. Heute wiederum haben Englands Topvereine gleich mehrere unterschiedliche Spielfelder in ihren Trainingszentren, um sich immer opti mal auf des Gegners Platz vorzubereiten, fordern FIFA und UEFA nach exakten Vorgaben angelegte Hybridrasenfelder, um zu verhindern, dass den perfektes Geläuf gewohnten Superstars kein auch nur einen Hauch zu langer Grashalm seelische Pein bereiten könnte. Das klappt nicht immer, wie man zuletzt bei der EM in Frankfurt sah.
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Englands Fußballwappen
Eine Bilderreise durch die bunte Welt der Wappen der Football-League-Klubs
Das Umfeld spielt ebenfalls eine Rolle „auf dem Platz“. Alemannia Aachen lief auf seinem alten Tivoli bevorzugt am Freitagabend auf und freute sich, wenn es dazu noch Nieselregen gab. Flutlicht, feuchte Kälte und ein tiefer Boden waren quasi eine Erfolgsgarantie für die Schwarz-Gelben, die dann mit ihrer gefürchteten Kampfkraft und unterstützt vom fanatischen Publikum auch schon mal Gegner wie Bayern München bezwangen. Enge Stadien wie der Kaiserslauterer Betzenberg, Offenbachs Bieberer Berg oder die Alte Försterei des 1. FC Union stehen im Ruf, Bastionen zu sein, die den berühmten „zwölften Mann“ er zeugen. Das genaue Gegenteil war lange der SC Fortuna Köln, der o vor dreistelligen Kulissen Zweitligafußball anbot.
Schließlich ist da noch die Topografie. In Bolivien schaffte es eine Provinzmannschaft in die erste Liga, weil der Heimatort so hoch in den Anden liegt, dass den Gegnern förmlich die Luft wegblieb. Im Bergland wiederum gibt es diverse Plätze im unterklassigen Fußball, auf denen der lustige Spruch „Wir wollen zuerst bergauf spielen“ Wahrheitscharakter hat, weil die lokalen Verhältnisse keine ausreichend große und ebene Spielfläche zulassen.
Platzverhältnisse sind aber auch dem Wandel unterlegen und haben im modernen Entertainmentfußball spürbar an Bedeutung verloren. So hat ein Amateurverein im DFB-Pokal heute kaum noch die Möglichkeit, auf eigenem Platz gegen einen Profiklub zu spielen. Neben der nicht pro fußballtauglichen Spielfläche liegt das an fehlenden VIP- und Pressetribünen sowie vor allem an unzureichenden Sicherheitsbedingungen. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein VfB Eppingen auf heimischem Geläuf den HSV düpierte und das ganze Dorf eine lautstarke physische Wand bildete, um den lokalen Amateuren den Rücken zu stärken.
Der „große Fußball“ ist dadurch steriler geworden. Berechenbarer, mit weiteren Vorteilen für die ohnehin schon bevorteilten „Großen“. Während jene unter gewohnten Bedingungen spielen können, muss das Amateurteam viele Kilometer zum „Heimspiel“ reisen, um auf feinstem Rasenteppich auch noch seinen letzten Vorteil in einem überdimensionierten Profistadion zu verlieren.
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