ZEITSPIEL Geschichte. Ausgabe #26

Die Erfindung des modernen Fußballs

30 Jahre Premier League

(Von Hardy Grüne)


 "Es gibt keinen Vergleich zwischen 1992 und heute. Nicht eine einzige Sache. Man könnte argumentieren, dass der Ball immer noch rund ist, aber selbst das war 1992 völlig anders. Die Stadien sind voll besetzt, die Spielfelder sind makellos, das Geld ist in einer anderen Größenordnung. Die Schuhe, die Trikots, die Trainingseinheiten, die Ernährung und die Medien. Vielleicht gewinnt man Spiele immer noch, wenn man den Ball im Netz versenkt. Aber das war‘s auch.“
Tony Cottee, Ex-Stürmer Everton und West Ham, später Sky-Experte, 2012.


Während ein Spieler vor einer romantischen Sonnenuntergangskulisse zum Kopfball ansetzt, hebt die Bariton-Stimme an: „The FA Premier League. Live. Only on Sky. It’s a whole … new … ball game.“ Es ist der 15. August 1992. Der Tag, an dem Fußball zu „a whole new ball game“ wird. Noch dominiert allerdings das alte Spiel. Die Stadien mitten im Umbauprozess zu den vom Taylor-Report geforderten all seater. Die Spieler bürgernah und geerdet. Sonntags geht man gemeinsam in den Pub und trifft sich mit den Fans. Unter den 22 Erstligisten sind Mannschaften wie Oldham Athletic oder Wimbledon, die heute Lichtjahre von der Glamourwelt der Premier League entfernt sind. Ganze elf Spieler kommen aus dem nichtbritischen Ausland, alle 22 Trainer sind Briten.

Die Premier League ist zugleich Revolution wie Evolution. Revolution, weil zuvor unvorstellbare TV-Gelder den 22 auserwählten Klubs schlagartig Traumtransfers und ein Leben in Saus und Braus ermöglichen. Finanziell ist sie wahrhaftig „a whole new ball game“. Das gilt auch medial, wo Rupert Murdoch seinen defizitären Satellitensender Sky via Fußball in die britischen Wohnstuben zwingen will und dafür auf ein revolutionäres Abo-System setzt: Live-Fußball gibt es nur noch gegen Bezahlung. Evolution, weil vieles rückblickend wie Szenen aus einem „Früher“ wirkt, in dem wahrlich nicht alles besser war. Cheerleaders in kurzen Röckchen zum Beispiel, die den Einmarsch der Teams mit glitzernden Pom-Pom-Bällchen begleiten und die Welt der Männerdomäne Fußball symbolisieren, in der Frauen bestenfalls eine Rolle als hübsche Staffage eingeräumt wird. Ein Publikum, das nicht nur männlich ist, sondern auch weiß. Kaum Asiaten, kaum Schwarze – angesichts des allgegenwärtigen Rassismus bleiben Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund besser fern. Dann die maroden Stadien mit ihren mächtigen Terraces (Stehtraversen), die nichts mit den heutigen Arenen gemein haben. So ein „whole new ball game“ entsteht nicht über Nacht.

Das „Neue“ ist aber auch schon zu sehen und zu hören. Die Stadionmusik spiegelt den Zeitgeist. Einerseits massentauglicher New Wave, andererseits kommerzkritische Bands wie Nirvana und Pearl Jam, die die düsteren Hymnen der frühen 1990er liefern. Das passt zur Stimmung in der nach elf Jahren Thatcher gespaltenen Gesellschaft Großbritanniens. Während überall verfallene Industriebrachen an das glorreiche Empire erinnern, steigt ausgerechnet der Arbeitersport Fußball zur Galionsfigur von Kapitalismus und Kommerzialisierung auf. 1992 wirkt rückblickend jedoch vieles noch aufgesetzt und stümperhaft amerikanisiert. Die Premier League von damals ist ein fast liebenswerter Abklatsch der von Marketingexperten durchgestylten und unnahbaren heutigen Premier League.

„A whole new world“ beginnt in the „old world“.
 
Ein Land im Aufbruch
Seit Mitte der 1980er Jahre hatten die Spitzenmannschaften mit ihrem Austritt aus der Football League, Englands Profifußball-Pyramide, gedroht. Sie wollten mehr Geld, und sie wollten das Geld nicht mehr teilen mit dem Unterbau. Am 16. November 1990, einem Freitag, wurde aus Drohungen Ernst, als sich sechs der mächtigsten Männer des englischen Fußballs in einem Restaurant in der Londoner South Bank trafen und über Sezessionspläne berieten: Greg Dyke, Chef von ITV Sport und später Chairman der FA, Martin Edwards (Manchester United), Irvin Scholar (Tottenham), Noel White (Liverpool), Philip Carter (Everton) sowie David Dein, Vizepräsident des Arsenal FC. „Wir hatten einfach genug und wussten, was wir taten, war richtig“, sagte David Dein 20 Jahre später dem Magazin „FourFourTwo“: „Fußball war von Katastrophen geplagt und brauchte einen Wandel. Das Problem war, dass die Abstimmungsstrukturen den nicht einleiten konnten. Die großen Klubs mussten das selber tun.“

Tatsächlich steckte Englands Fußball organisatorisch ziemlich fest. Streitigkeiten zwischen der Football League und dem Nationalverband FA sowie innerhalb der Football League zwischen den Erstligisten und den restlichen drei Staffeln verhinderten jeden konstruktiven Dialog. Dazu kamen die ermüdenden Negativschlagzeilen von den Zuschauerrängen, wo das Gewaltproblem nicht in den Griff zu bekommen war. Fußball hatte spätestens seit 1985 und den Vorfällen von Heysel viele Sympathien verspielt, und England war müde geworden mit „The Beautiful Game“. Andererseits regte sich Aufbruchstimmung, denn die Zerschlagung des Wohlfahrtstaates Großbritannien und dessen Öffnung für „shareholder value“ und Neo-Liberalismus, rigoros durchgepeitscht von Margaret Thatcher, war auch im Profifußball zu spüren. Als die „Three Lions“ 1990 bei der WM in Italien bis ins Halbfinale vordrangen und Paul Gascoigne zum Superstar aufstieg, entflammte die Liebe vieler Engländer zum Fußball aufs Neue. „The beautiful game“ hatte noch immer Potenzial - es brauchte nur ein anderes Umfeld!

Die Zeichen für einen Aufbruch standen günstig. Großbritannien steckte tief in der Rezession, und im November 1990 trat Margaret Thatcher nach elf Amtsjahren zurück. Sie war gescheitert an der von ihr geforderten „poll tax“ (Kopfsteuer), bei der jeder Mensch unabhängig von Einkommen oder Vermögen den gleichen Steuerbetrag bezahlt. Ihr Nachfolger John Mayor sollte als einer der schwächsten Premiers in die britische Geschichte eingehen. Auf den Straßen gab es Massenproteste gegen die steigenden Lebenshaltungskosten. 1991 lag die Inflation bei 9,5 Prozent, wurden 1,7 Mio. Arbeitslose gezählt. Tendenz steigend. Betroffen waren vor allem die alten Industrieregionen im Norden Englands sowie in Schottland. Die dortigen tristgrauen Arbeiterstädte verpassten den Anschluss an das von Konsum und Dienstleistungen geprägte „New England“, das sich vor allem in London zeigte. Der Wandel produzierte Gewinner und Verlierer. 1992 lag das durchschnittliche Jahreseinkommen in Großbritannien bei 13.750 Pfund. Ein Haus kostete im Schnitt 59.875 Pfund. 26 Jahre später lag das Durchschnittseinkommen bei 41.832 Pfund (+ 204 % ), der durchschnittliche Hauspreis jedoch bei 486.890 Pfund (+ 713 %). Während in London und anderen Metropolen ganze Stadtteile gentrifiziert und die alten Bewohner in die Vorstädte verdrängt wurden, verwandelten sich Städte wie Blackburn, Bolton oder Oldham in ethnische Schmelztiegel mit düsterer Zukunft.

Nach dem Treffen im November 1990 standen Football League und FA unter Druck. Die FA, der älteste Fußballverband der Welt, nutzte die Gelegenheit und legte im Juni 1991 mit „The Blueprint for the Future of Football“ ein Konzept vor, dessen Kernstück eine finanziell eigenständige „Premier League“ war. Nur noch über den sportlichen Auf- und Abstieg sollte jene mit der Football League verbunden sein, nicht aber mehr finanziell. Das Ziel sei, so die FA, sich „upmarket“ zu orientieren, also die „wohlhabenderen Konsumenten aus den Mittelklassen zu erschließen“. Damit stellte sich ausgerechnet der Vertreter der Amateure auf die Seite der abwanderungswilligen Großen und gegen die Football League, der die Organisation des Profifußballs unterstand und mit der man im Streit lag. Durch das Bündnis mit den großen Klubs hoffte die FA, die Football League zu schwächen. Später gab der damalige FA-Boss Graham Kelly zu, dass das Hauptanliegen die eigene Selbsterhaltung gewesen sei. Vor dem Hintergrund der wachsenden ökonomischen Macht der Spitzenvereine und dem aufkommenden Bezahlfernsehen fürchtete die FA, finanziell ausgebootet zu werden sowie eine Schwächung der Nationalmannschaft. Bill Fox, Präsident der Football League, bezeichnete die Pläne empört als „Versuch, die First Division zu kidnappen“. 

 

Die FA steigt mit ein

Mit der FA im Rücken ging alles ganz schnell. Nachdem 14 der 22 Erstligisten am 17. Juli 1991 das „Founder Members Agreement“ unterzeichnet und ihren Austritt aus der Football League beantragt hatten, wurde am 23. September 1991 die Gründung der „FA Premier League“ beschlossen. Sie war finanziell unabhängig von FA wie Football League und durfte eigene Verhandlungen sowohl über TV-Rechte als auch Sponsorendeals führen. Die FA beteuerte, die Liga sei in „Englands Interesse“, da „die Nationalmannschaft gefördert“ würde. Sie versuchte lediglich die von der UEFA geforderte Teilnehmerreduzierung auf 20 Teams (statt 22) durchzusetzen, was ihr allerdings erst 1995 gelang. Ihr Büro bezog die neue Spitzenliga symbolträchtig im FA-Hauptquartier in Lancaster Gate in London. Verlierer war die Football League, die ihre sportlichen wie finanziellen Zugpferde verlor und die Finanzierung für die verbliebenen 70 Teams auf neue Füße stellen musste. Das aus der Zeit des Ersten Weltkriegs stammende Solidarsystem, bei dem die Spitzenklubs den Unterbau über eine Umlage mitfinanzierten, war Geschichte. Ein Tabubruch und vor allem ein Signal, dass der große Fußball den von Thatcher losgetretenen neoliberalen Zeitgeist verinnerlicht hatte und auf dem Weg in eine (geschlossene) neue Welt war. Als die Premier League 2007 das Kürzel „FA“ fallen ließ, waren auch die Verbindungen zum einstigen Alliierten gekappt.

Es war kein Zufall, dass wenige Monate vor der Premier League bereits die UEFA Champions League an den Start gegangen war. Sie löste den Europapokal der Landesmeister ab und war vor allem von Silvio Berlusconi, Medienmogul, Präsident des AC Mailand und angehender Politiker, durchgesetzt worden. Ihre Einführung stand auch vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des Ostblocks, der eine Flut an neuen Ländern nach sich zog und ein gewachsenes System mit verlässlich 31 Landesmeistern sprengte. Champions League und Premier League verband ein gemeinsamer Grundgedanke: Schaffung einer einflussreichen und vermögenden Elite, die sich vom Rest ablöst. In der Champions League führte das 1992 zu einer vorgeschalteten Qualifikationsrunde der Meister aus den „kleinen“ Ländern und der Einführung von Gruppenspielen, mit denen durch mehr Paarungen auch mehr Geld in die Kassen von wenigen Vereinen gespült wurde. Es dauerte nur wenige Jahre, bis die Effekte der auseinandergehenden Schere sichtbar wurden und sich eine Elite herausbildete, die heute in vielen Ländern die Ligakonkurrenz beherrscht.

Das Fernsehen als zentraler Baustein
Ein zentraler Fokus der Premier League lag auf dem Fernsehpublikum. Nicht zuletzt darauf basierten die ehrgeizigen Finanzpläne, die nur mit Ticket- und Sponsoreneinnahmen nicht erfüllt werden konnten. Vor dem Hintergrund der hohen Inflation, die bei vielen Briten den Notgroschen für Kino- und Theaterbesuche sowie Restaurantessen auffraß, war Fernsehen zentral in der Freizeitgestaltung. Feierabend und Wochenende fanden vor allem in den eigenen vier Wänden statt. Dort vertrieben TV-Serien wie „House of Cards“ und natürlich „Coronation Street“, Englands „Lindenstraße“, die Zukunftssorgen. Ein gemachtes Bett für den Fußball, der nur noch von seinem Image als rüpeliger Proletensport befreit werden musste, um als familientaugliches und bunt glitzerndes Unterhaltungsformat die Herzen der breiten (zahlungskräftigen) Masse zu erobern. Ein Job für Rupert Murdoch und sein Medienimperium. Der Australier hatte im Laufe der 1980er Jahre über Boulevardblätter wie „Sun“ und „News of the World“ sowie die konservative Traditionszeitung „The Times“ bzw. „Sunday Times“ Einfluss auf Politik, Wirtschaft und öffentliche Meinung in Großbritannien gewonnen. Mit Sky betrieb er auch einen Satellitensender, der allerdings hochdefizitär arbeitete - man sprach von 14 Mio. Pfund Verlust pro Woche. Murdoch sah nur drei Wege, den Sender aus den roten Zahlen zu holen: Pornos, Hollywoodfilme oder Fußball. Pornos brachten „zu viele Probleme“, Hollywoodfilme waren schwierig zu verhandeln. Im Sport hielt Sky (das im November 1990 mit BSB zu BSkyB fusionierte) bereits die Rechte für Cricket und Rugby. Dadurch war es gelungen, viele hochkarätige Kommentatoren anzulocken, so dass das Fachpersonal bereit stand. Murdoch setzte folglich alles auf die Karte Fußball.

Favorit war jedoch ITV, in Person von Programmchef Greg Dyke einer der Motoren der Abspaltung und seit 1979 in Besitz der Fußball-Übertragungsrechte. Maßgeblich beteiligt an den Verhandlungen waren zudem Rick Perry, Chef der Premier League, David Dein von Arsenal als Vertreter der Vereine sowie der umtriebige Alan Sugar von Tottenham Hotspur in dubioser Nebenrolle und enger Verbindung zu Rupert Murdoch. Zunächst gab es grundlegende Fragen zu klären: Abo-Modell oder Pay-per-View? Allianz zwischen BSkyB und ITV, BSkyB und BBC oder ITV und BBC? Der BBC und ihrer ins Jahr 1964 zurückreichenden Fußballsendung „Match of the Day“ kam eine kulturhistorische Bedeutung zu, was den staatlichen Sender zum Wunschpartner für die Highlights im Free-TV machte. Und schließlich die künftige Spielplangestaltung. Seit 1960 war es in England verboten, zwischen 14:45 Uhr und 17:15 Uhr Livefußball im Fernsehen zu zeigen. Dieser „3pm blackout“ sollte (und soll, er existiert noch) die unterklassigen Vereine schützen, die zur traditionellen Anstoßzeit am Samstag um 15 Uhr aufliefen. Neben dem Sonntag, der bereits seit 1988 Erstligaspieltag war, wurde der Montagabend für exklusive Livespiele der Premier League anvisiert, was allerdings Proteste der Trainer auslöste.

In ihrem Buch „The Club“ beschreiben Jonathan Clegg und Joshua Robinson detailliert den äußerst verschlungenen Vergabeprozess, der sich wie ein Wirtschaftskrimi liest, bei dem sich alle Beteiligten ständig gegenseitig auszutricksen versuchen. Vor allem Ligachef Perry und Alan Sugar spielten die Kontrahenten gegeneinander aus, wobei Sugar mit BSkyB (vertreten von Sam Chisholm) liebäugelte, während Perry zunächst ITV (Greg Dyke) bevorzugte. Sugar handelte durchaus im Eigeninteresse, denn er stellte mit seiner Firma „Amstrad“ jene Satellitenboxen und –schüsseln her, die es zum Empfang von BSkyB brauchte. Perry wiederum wollte vor allem so viel Geld wie möglich für die Vereine herausschlagen und träumte von einem eigenen Fußball-Kanal.

ITV startete mit einem 80 Mio. Pfund-Gebot für vier Jahre und erhöhte auf 136 Mio., nachdem BSkyB angekündigt hatte, im Falle des Zuschlags ein Abo-Programm aufzulegen und die Premier League über Murdochs Zeitungen (u.a. The Sun) zu promoten. Vier Tage vor der Entscheidung am 18. Mai 1992 im Londoner „Royal Lancaster Hotel“ legten ITV und BSkyB ihre finalen Angebote vor. Mit inzwischen 262 Mio. Pfund lag ITV in Front. Am Abend vor der Entscheidung kontaktierte Premier-League-Chef Parry jedoch BSkyB-Vertreter Chisholme und forderte ihn zu einem verbesserten Angebot auf, während Alan Sugar Chisholme tags darauf in der Hotellobby „blow them out of the water“ zuraunte – schieß sie aus dem Rennen. Parry hatte inzwischen die Seiten gewechselt und unterstützte gemeinsam mit Sugar BSkyB, das der Premier League eine 50:50-Beteiligung an einem künftigen Pay-per-View-System zugesagt hatte und dessen Angebot am Morgen des 18. Mai auf 304 Mio. Pfund für fünf Jahre und 60 Livespiele erhöht worden war. Gegenspieler der beiden war Arsenals Vize David Dein, der Alan Sugar Interessenkonflikte vorwarf und angesichts der defizitären Lage bei BSkyB warnte, dass dessen Gelder nicht sicher seien. Mit 14:6-Stimmen erhielt BSkyB dennoch den Zuschlag. Nur die Top-Vereine Arsenal, Aston Villa, Everton, Leeds United, Liverpool und Manchester United hatten für ITV gestimmt. Wütend zog ITV vor Gericht, weil Parry den Sender nicht über das neue BSkyB-Angebot informiert hatte und man daher keine Möglichkeit bekam, zu reagieren. Vergeblich. Die Würfel waren gefallen – Livespiele der Premier League würde es nur für Abo-Kunden bei BSkyB geben. Immerhin gingen die Highlights an die BBC, so dass die Fans nicht gänzlich in die Röhre schauten. Heimlicher Gewinner war Alan Sugar, der sich auf einen Boom bei Satellitenboxen und –schüsseln freuen konnte, die man fortan zum Fußballschauen brauchte. 

Dass Murdochs gewagte Wette, über den Fußball seinen defizitären Sender in die Gewinnzone zu bringen, aufgehen würde, zweifelten viele an. Sein Rezept war klar formuliert: Fußball sollte weg vom ruppigen Arbeiterklassenimage! Vom Kampfspiel auf matschigem Rasen, vom aggressiven Publikum und dessen beleidigenden Gesängen, von Stadien, die im Zustand der 50er Jahre verharrten. Er sollte massentauglich werden. Der Fokus lag daher nicht auf dem alten Publikum, sondern auf neuen Zielgruppen. Vor allem (männliche) Gutverdiener sowie Familien der Mittelschicht – also die Gewinner der neo-liberalen Reformen Thatchers. Das spiegelte zugleich Großbritanniens historischen Wandel vom Wohlfahrtstaat mit starken Gewerkschaften und mächtiger Arbeiterschaft in eine vielschichtige Konsumgesellschaft, die aus vergnügungsorientierten Individualisten bestand. Als Scharnier zwischen alter und neuer Welt sollte das Fernsehen die Massenbühne für den neuen Fußball sein. Ein erster Werbespot der Premier League lockte die neue Zielgruppe zu Simple Minds „Alive and Kicking“ mit schillernden Bildern. Einerseits wurden die Spieler als Gladiatoren überzeichnet, andererseits verströmten sie als am sonntäglichen Frühstückstisch sitzende Familienmenschen Normalität. Selbst eine Prise Erotik war dabei, denn einige Sequenzen zeigten Akteure unter der Dusche und mit nacktem Oberkörper – im prüden England der frühen 1990er durchaus ein Wagnis. Vermarktet wurde nicht der Sport als Wettstreit, sondern Fußball als Unterhaltungsformat und insbesondere die Premier League als geschlossene Gesellschaft. Akteure aller 22 Teams kamen zu einem Mannschaftsfoto zusammen und demonstrierten unter dem Slogan „A whole new ball game“ Geschlossenheit. Brian Deane von Sheffield United: „Es gab um alles ein riesen Razzmatazz. Wir wussten, dass es der Beginn von etwas Neuem war.“

Dieser Text stammt aus Ausgabe #26

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