ZEITSPIEL Geschichte. Ausgabe #24

Im schicken Strandbad Bundesliga

(Von Hardy Grüne)

Anfang April 2013 tauchten in Fürth Plakate auf, die schmunzeln ließen. Auf sechs Strandliegen waren Handtücher der Bundesligisten Bayern, Schalke, Mainz, Dortmund, HSV und Freiburg ausgebreitet. Das erinnerte an die Strände von Mallorca oder Antalya, wo deutsche Touristen mit ihren Handtüchern gerne markieren, was vermeintlich ihnen gehört und sie keineswegs bereit sind zu teilen. In Fürth, seit neun Monaten erstmals in der Klubgeschichte in der Bundesliga dabei und sportlich einigermaßen überfordert, griff man das Klischee auf und überspitzte es mit der selbstironischen Überschrift: „Wenig Spaß und anstrengende Gäste. Nächstes Jahr fahren wir woanders hin.“
Die ungewöhnliche Kampagne der sechs Spieltage vor Saisonende bereits mehr oder weniger als Absteiger feststehenden Franken ging zurück auf Geschäftsführer Holger Schwiewagner, der gegenüber der Regionalpresse schmunzelnd zugab: „Dass das polarisiert, war uns klar.“ Angesichts der sportlich recht aussichtslosen Lage habe er keine unsinnigen Durchhalteparolen ausgeben wollen, so Schwiewagner. Als Kapitulation, wie Kritiker sagten, wollte er die Plakataktion aber dennoch nicht verstanden wissen. Schwiewagner: „Von Aufgabe lese ich da nix.“ Vielmehr wolle man in Fürth so bald wie möglich einen neuen Anlauf in Richtung Bundesliga nehmen, denn: „Wir fahren zwar woanders hin, aber nicht, um die nächsten 20 Jahre da zu bleiben.“

Raues Haifischbecken
Neun Jahre „urlaubte“ die SpVgg anschließend an den Zweitligastränden der Republik, ehe sie ihr Badetuch aktuell zum zweiten Mal auf eine der 18 elitären Bundesliga-Strandliegen legen und ihren Platz im Fußball-Oberhaus markieren kann. Ob die Kleeblätter auch im Frühjahr 2022 erneut frühzeitig die Lust am Aufenthalt am Nobelstrand Bundesliga verlieren, wird sich zeigen. Unstrittig ist, dass der Fußball-Teutonengrill Bundesliga für Klubs wie die SpVgg Greuther Fürth mit beschränkten wirtschaftlichen Ressourcen, einem umsichtigen, wenn auch bescheidenem Umfeld sowie akribischer Arbeit ein Haifischbecken ist, in dem es rau zugehen kann. Einerseits stimmen die Erlöse vor allem im TV-Bereich, andererseits ist es schwierig, sich gegen die etablierte und potente Konkurrenz durchzusetzen. Es darf daher vermutet werden, dass man sich im Ronhof des Risikos bewusst ist, dass es ab Herbst 2022 wieder an zweitklassige Strände geht.
Mit ihrem Wiederaufstieg ins Oberhaus 2021 fielen die Franken unerwartet aus dem Feld der in dieser Ausgabe porträtierten „Eintagsfliegen“, die nur ein einziges Jahr in der Bundesliga mitmischten. Das beschränkt den Kreis auf lediglich sechs Klubs, und deren Erstligasaisons liegen auch vergleichsweise lange zurück. Die jüngste „Eintagsfliege“ ist der SSV Ulm 1846, der vor 21 Jahren erstklassig kickte. Das darf als Indiz für die Folgen jener grundlegenden Veränderungen im Profifußball betrachtet werden, die scheinbar „zufällige“ Aufstiege wie den der Fürther 2012 seltener macht. In Franken hatte man seinerzeit übrigens eine Werbeaktion unter dem so kecken wie selbstironischen Label „Unaufsteigbar“ gefahren, nachdem die Kleeblätter im Vorfeld wiederholt am Aufstieg gescheitert waren. Das wiederum passt zu einem anderen Team, das bei der Planung dieser Ausgabe für ein Porträt vorgesehen war: Holstein Kiel. Zum zweiten Mal nach 2018 verpassten die Störche im Sommer knapp die Bundesliga, wo sie möglicherweise die jüngste Eintagsfliege hätten werden können. Der SC Paderborn legte unterdessen das 2014/15 erworbene Label „Eintagsfliege“ nach einem wilden Ritt durch die Ligen 2019 ab, verpasste aber auch beim zweiten Bundesliga-Abenteuer den Klassenerhalt.
Alle anderen echten Bundesliga-Neulinge der letzten Dekade haben sich im Oberhaus etabliert. Leipzig und Hoffenheim dank zahlungskräftiger Hintermänner, Augsburg mit solider Arbeit, Fanunterstützung und potentem Umfeld, Union Berlin mit bemerkenswerter Leidenschaft. Diese Teams ersetzten Mannschaften wie 1. FC Kaiserslautern, Hamburger SV oder die Vorjahresabsteiger Schalke und Werder, deren Schicksale andeuten, wie schwierig es inzwischen selbst für alteingesessene Dauergäste geworden ist, ihr Badetuch im Oberhaus zu platzieren. Es braucht schon etwas mehr Geld für eine Strandliege am Nobelstrand Bundesliga.

 

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Eintagsfliegen – ein Relikt aus der Vergangenheit?
Stirbt die Bundesliga-Eintagsfliege also aus? Es deutet einiges darauf hin. Ein Blick zurück verdeutlicht, dass unter den sechs verbliebenen Liga-Eintagsfliegen zwischen 1963 und 2021 einerseits Klubs sind, die sich den Aufstieg in die Bundesliga offensiv auf die Fahnen geschrieben hatten – Fortuna Köln 1973/74 und Blau-Weiß 90 Berlin 1986/87 -, andererseits Mannschaften, die unerwartet das Oberhaus erklommen. Der bereits erwähnte SSV Ulm 1846 marschierte zwischen 1997 und 1999 von der dritten in die erste Liga durch - und stürzte danach bis in die Verbandsliga Württemberg ab. Der VfB Leipzig kämpfte vier Jahre nach der politischen Wende noch mit allerlei strukturellen Problemen abseits des Spielfeldes, als ihm 1993 der Aufstieg gelang. Und dann ist da noch der Sonderfall Tasmania Berlin, zwei Wochen vor dem Saisonstart 1965/66 für die aus der Bundesliga ausgeschlossene Hertha ins Oberhaus aufgerückt, sowie Preußen Münster, 1963 Gründungsmitglied der Liga und seitdem dort nicht mehr gesehen.
„Eintagsfliegen“ verraten viel über die Selbstwahrnehmung von Fans, Funktionären sowie Städten. „In Münster gibt es heute noch viele, die sagen, Preußen gehöre eigentlich in die Bundesliga“, schreibt Dietrich Schulze-Marmeling in seinem Beitrag über den Klub, der inzwischen zu einem bescheidenen Viertligisten geworden ist. Überproportional häufig zogen die Erstligajahre zudem wirtschaftliche Turbulenzen nach sich, die den Verein ruinierten. Fortuna Köln wäre ohne Dauer-Geldgeber Jean Löring sicher nie „Ewiger Zweitligist“ mit einsamer Bundesligasaison 1972/73 1973/74 geworden, dessen Träume von der Rückkehr in die Bundesliga spätestens mit Lörings Tod 2005 endeten, woraufhin es mehr oder weniger direkt in die Insolvenz ging. Auch Ulm, Leipzig und Blau-Weiß 90 durchliefen Insolvenzen, in letzteren beiden Fällen sogar mit Klubauflösung und Neustart. So ein Bundesligaausflug kann also ganz schön gefährlich sein!
Denn genau das ist ein weiteres Attribut von Eintagsfliegen: Der Ausflug in den Fußballhimmel weckt Erwartungen bei Verantwortlichen, Fans und Städten, die vorher möglicherweise nicht da waren bzw. den Realitäten nicht gerecht wurden. Denn es gibt nun mal nur 18 Strandliegen im deutschen Fußballhimmel. Und die meisten von ihnen sind seit Langem von Gästen belegt, die um einiges zahlungskräftiger sind.

Auch in der DDR und dem Unterbau Eintagsfliegen
Eintagsfliegen gab es natürlich auch in der DDR-Oberliga. Die bekannteste dürfte die BSG Motor Suhl sein, die sich 1984/85 für ein Jahr am elitärsten Arbeiter- und Bauernstrand sonnen durfte. Ein einziger Sieg gelang der Mannschaft, über die das Fachblatt „Neue Fuwo“ nach Saisonende schrieb: „Vom ganzen Habitus her war Motor der Absteiger Nummer 1 – und blieb es auch.“ Ähnliches gilt für den SC Neubrandenburg, der 1964/65 immerhin sieben Siege feierte. Das Attribut des Zufallsaufsteigers trägt unterdessen die BSG Chemie Buna Schkopau, heute als 1. FC Merseburg in der fünftklassigen Oberliga unterwegs, die 1981/82 dreimal als Sieger vom Platz ging.
Auch in der 2. Bundesliga, den alten West-Oberligen, der zweitklassigen DDR-Liga sowie den Endrunden um die Bundesdeutsche Meisterschaft nach dem Zweiten Weltkrieg gab es allerlei Teams, die nur kurz mal oben vorbeischauten und sich damit zugleich einen bleibenden Namen unter Fußballfans machten. Wer würde schon Eppingen kennen, gäbe es nicht den VfB (2. Bundesliga Süd 1980/81), wer wüsste vom HSV Barmbek-Uhlenhorst (2. Bundesliga Nord 1974/75), wer von den „Schlossherren“ des Paderborner Vorstadtklubs TuS Schloss Neuhaus (2. Bundesliga 1982/83), wer von Teams wie Stahl Walzwerk Hettstedt, Motor Zeulenroda oder BSG Baumechanik Neubrandenburg, die einjährige Liga-Gastspiele gaben? 

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe #24


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