ZEITSPIEL weekly

13.9.2023

 

Der DFB nach Hansi Flick 

 

Von Dietrich Schulze-Marmeling

 

1.: Die Trennung von Flick war unvermeidlich, der Vollzug ein bisschen geschmacklos. (Die Entscheidung fällt in der Nacht nach dem Spiel, vom mir aus auch erst am folgenden Morgen. Trotzdem lässt man Flick noch ein öffentliches Training absolvieren.) Der Führung des Verbands fehlt es wirklich an allem – von fachlicher Kompetenz bis Stil. Die Trennung war auch unvermeidlich, weil die DFB-Elf mit Flick nicht mehr aus dem Stimmungstief herausgefunden hätte. So ein Stimmungstief bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Leistung der Spieler. Hierzu mehr später. 

 

2.: Viele haben Flick überschätzt – mich eingeschlossen. Weil er nach der WM 2014 zu den wenigen gehörte, die nicht vor lauter „deutscher Fußball über alles“ übersahen, was sich in anderen Ländern tat. Auch thematisierte Flick die Defizite in der heimischen Ausbildung. Aber was Löw und Flick sagten, interessierte damals fast niemanden. Dann kamen die Trophäen mit dem FC Bayern – errungen in einem sehr kurzen Zeitraum und unter besonderen Bedingungen (Corona). Ottmar Hitzfeld erzählte dem „Kicker“: „Flick trägt diese Bayern-Mentalität in sich.“ Karl-Heinz Rummenigge entdeckte bei Flick Ähnlichkeiten zu dessen prominenten Vorgängern Louis van Gaal, Jupp Heynckes und Pep Guardiola: „Der Trainer Flick ist ein wichtiger Faktor, er hat eine empathische Verbindung zur Mannschaft und macht es auch in der Öffentlichkeit sehr gut.“ 

 

Was Flick damals in die Karten spielte: Die Mannschaft war froh, dass sie Kovac los war. Müller und andere kannten Flick von der Nationalelf her, was sich positiv auf ihre Leistungen auswirkte. Die Champions League wurde im „Corona-Modus“ bzw. in Turnierform ausgespielt. Dass Flick mit Sportchef Salihamidzic aneinander geriet, kann ich nachvollziehen. (Siehe hierzu auch jüngste Ausgabe des „Kicker“.) Ein bisschen hatte ich aber auch den Eindruck: Er wusste, dass ihn der Job des Bayern-Trainers mittelfristig überfordern würde und provozierte deshalb die Trennung. Ganz abgesehen davon, dass das „Sextupple“ nicht zu toppen war - und auch nicht zu wiederholen.

Der Job des Bundestrainers ist ein vergleichsweise ruhiger. Und auch keiner für Top-Kräfte. Spätestens seit der nun berühmt-berüchtigten Doku wissen wir, dass Hansi Flick kein Pep Guardiola ist. Und im Übrigen auch kein Jogi Löw. Seit dem gestrigen 2:1 gegen Frankreich kann ich mir vorstellen: Bis zum Abschluss der EM ein Trio aus Rudi Völler, Hannes Wolf und Sandro Wagner. Völler als (populärer) Teamchef, Wolf und Wagner für die Detailarbeit. Nach der EM dann eine Lösung mit Perspektive. Es ist nur die Nationalmannschaft, es geht nur noch um sechs, sieben Testspiele und das Turnier.

Außerdem: Nach dem gestrigen Abend dürfte es für einige der gehandelten Kandidaten schwierig werden. Völler / Wolf / Wagner haben mit nur einem Auftritt die Messlatte höher gesetzt. 
 

Matthias Sammer kann ich mir auch vorstellen. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was er sagt. Aber er würde zweifelsohne das Niveau so mancher Debatte heben. Denkbar auch ein Trio Sammer (als Leader) / Wolf / Wagner. 

 

Julian Nagelsmann? Die Meldung, dass er ernsthaft drüber nachdenkt, überrascht mich. Schließlich ist der Mann noch jung und ehrgeizig. Taktische und spielphilosophische Ideen lassen sich eher mit Vereinsmannschaften realisieren. 

Mit Nationalteams, die dem Trainer nur beschränkt zur Verfügung stehen, ist dies schwierig. Siehe Flicks bei Pep Guardiola abgekupferte Idee mit dem „schwimmenden“ rechten Verteidiger: Bei Ballbesitz rückt ein Verteidiger - im DFB-Team Kimmich - ins zentrale Mittelfeld vor, während die anderen zur Dreierkette zusammenrücken. Nur gegen den Ball spielt man mit Viererkette bzw. einem klassischen Rechtsverteidiger. Damit das funktioniert, bedarf es aber mehr als nur zwei, drei Trainingseinheiten.


Gegen Japan offenbarte sich dann noch ein anderes Problem: Der Mangel an Außenverteidigern. Der gelernte Innenverteidiger Schlotterbeck war hier völlig überfordert. Der Vereinstrainer kann dann vom Sportdirektor einen die Lücke schließenden Transfer verlangen – der Bundestrainer kann sich nur im Topf der für die Nationalelf spielberechtigten Akteure bedienen. Eventuell muss er einen Spieler umschulen, aber auch hierfür fehlt ihm die Zeit des Vereinstrainers.

  

Roger Schmidt? Kann ich mir nicht vorstellen – ganz abgesehen von den Kosten.

Louis van Gaal? Schon eher. Aber altersbedingt wohl nur ein Bundestrainer bis zum Abschluss der EM. Oliver Glasner? Skeptisch. 

Stefan Kuntz? Eher eine zweitklassige Lösung, aber vielleicht ebenfalls mit Wolf / Wagner an seiner Seite. Steht aber auch dafür, dass die Nationalelf sportlich weniger bedeutend ist als der FC Bayern oder Borussia Dortmund. Und die Aufgaben eines Bundestrainers sich zumindest in Teilen anders (weniger anspruchsvoll) gestalten als die eines Vereinstrainers. Kein deutscher Spitzenklub käme auf die Idee, Stefan Kuntz als Trainer zu verpflichten. 

    

Felix Magath? Immer wieder peinlich, wie sich Ex-Fußballer / Ex-Trainer bei Vakanzen ins Spiel bringen, obwohl sie wissen müssten, dass ihre Bewerbung bestenfalls Futter für den Boulevard ist. Sogar in der DFB-Führung wird niemand ernsthaft über einen Bundestrainer Magath nachdenken.

 

Generell stellt sich die Frage: Was ist überhaupt die Aufgabe des Bundestrainers? Besteht diese allein in der Auswahl der Nationalspieler, im Teambuilding und in der Vorbereitung auf den Gegner? Oder ist der Bundestrainer der oberste Übungsleiter der Nation, der auch über die eigene Elf hinaus Akzente setzt - wie einst Sepp Herberger. Auch unter Helmut Schön war dies noch ein bisschen so, aber auf Grund von Trainern wie Zebec, Weisweiler und Co. schon nicht mehr so wie zu Herbergers Zeiten. Jogi Löw war deutlich mehr als nur ein „Team-Verwalter“. Der Bundestrainer gab vor, wie „moderner Fußball“ gespielt wird, behandelte die Nationalelf fast wie eine Vereinsmannschaft. 

 

Ein Bundestrainer Julian Nagelsmann würde ein komplett anderer Bundestrainer sein als Stefan Kuntz. Von seiner Herangehensweise her wohl eher wie Löw, dessen Bilanz ein wenig in Vergessenheit geraten ist: 1 x Weltmeister, 2 x WM-Dritter, 1 x EM-Vize, 1 x EM-Halbfinale. 

     

3.: Das größte Problem des deutschen Fußballs ist aber nicht die Besetzung des Bundestrainer-Postens, sondern eine gruselige und komplett aus der Zeit gefallene Führungskultur beim DFB. 

 

Bereits die Form der Inthronisierung von Rudi Völler war eines großen Sportverbands unwürdig. (Aki Watzke zur Auswahl von Völler: „Es war kein Prozess. Wir haben zusammengesessen, ich habe in die Runde gesehen, und dann habe ich spontan gesagt: ‚Rudi, das wär doch was für dich!‘“ Kommentar „11 Freunde“: „Ein Einblick, der betroffen macht.“).

Mensch könnte natürlich auch sagen: Rudis Inthronisierung war eine Demonstration von Bodenständigkeit. Seht her, in der DFB-Führung und der Task Force werden Entscheidungen nicht anders getroffen als in einem unterklassigen Amateurverein. (Wobei dies für eine Reihe von Amateurvereinen gerade nicht zutrifft.) Vielleicht ging es in erster Linie um die Beruhigung des „Fußball-Stammtisches“, der sich in den letzten Jahren abgekoppelt fühlte. Folglich äußerte sich Rudi auch erst einmal zum Thema „Gendern“, der Innenministerin und diesen Menschenrechtsfirlefanz.  

 

Und der Vize-Präsident (!) des Verbands? Der bekommt nicht mit, dass DFB und DFL ein neues Ausbildungskonzept beschlossen haben – obwohl dieses jahrelang landauf, landab diskutiert wurde. Er hört davon erstmals durch Statements anderer (Baumgart, Hamann, Rangnick). Er prüft nicht deren Wahrheitsgehalt, hält es nicht einmal für nötig, einen Blick auf die verbandseigene Homepage zu werfen. Auf einer Versammlung von Unternehmern koffert Friedrich Merz-Freund Aki Watzke gegen die Reform – aus Gründen der politischen Opportunität. Das alles ungestraft und ohne sich bei den Betroffenen zu entschuldigen, die nun tagtäglich erklären müssen, was die Reform tatsächlich beinhaltet. Günter Klein schreibt in einem Kommentar zur „Causa Watzke“: „Dass man eine klare und ablehnende Haltung zu den Reformen hat, die im deutschen Jugendfußball angestrebt werden, ist legitim. Man darf sie auch im Stammtischduktus formulieren. Das kann man als ehrlich entrüsteter Fußballmensch an der Basis tun. Man sollte es aber unterlassen, wenn man Aki Watzke ist.(…)  Was man von den Mächtigen erwarten könnte: Kompetenz, Sachkenntnis, Gespür für die Situation. Daran fehlt es Watzke auf nahezu skandalöse Weise.“ 

 

Zurück zu „Rudi, das wär doch etwas für Dich!“ Auf vergleichbarem Niveau verläuft nun die Aufarbeitung der „Causa Watzke“. Eine Hand wäscht die andere. Für Rudi Völler war „alles halb so wild“. Der Kumpel sei „in einer feucht-fröhlichen Runde ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen“, das habe „er mittlerweile zugegeben.“ Das passiere halt mal. Herrjemine. Bin ich wirklich im weltweit größten Einzelsport-Fachverband?

 

Der Rudi springt für den Aki in die Bresche. Was der Aki dem Rudi (an der Hotelbar?) beichtet, interessiert aber eigentlich nicht. Was hindert den Aki daran, sich bei den Betroffenen für seine Tiraden zu entschuldigen? Und schon wäre die Kuh vom Eis.  

 

Hans-Joachim Watzke hat sich um den BVB verdient gemacht, wenngleich auch dort längst nicht mehr alles nach Wunsch läuft: Sieben Trainer im Zeitraum 2015 – 2023 und Probleme mit starken Charakteren wie Thomas Tuchel, die keinen Bock auf ein kumpelhaftes Verhältnis mit dem BVB-Boss haben. Mit der Meisterschaft wird wohl auch dieses Jahr nichts werden – trotz des noch unvollständigen und wenig balancierten Kaders der Bayern. Legt mensch die beiden Kader übereinander, haben die Bayern noch immer die besseren Fußballer. Wo es fußballerisch nicht reicht, gibt es dann vermutlich wieder die berühmte Mentalitätsdebatte… 

 

Aber Watzke als DFB-Vize? Noch einmal Günter Klein: „In der DFL ist er mit seiner windigen Investorennummer gescheitert, die Nationalmannschaft hat unter ihm und seiner tatenlosen Taskforce kein Problem gelöst. Weil er selber eines ist. Aki Watzke ist eine dramatische Fehlbesetzung.“ 

 

Was den DFB anbelangt, so ist Watzke allein schon deshalb eine Fehlbesetzung, weil seine Funktion als „Vize“ vornehmlich darin besteht, zu verhindern, dass der Verband etwas beschließt, was mit den Interessen der großen Klubs kollidieren könnte. Themen wie die Ausbildung interessieren ihn nicht wirklich, begründen aber die Existenzberechtigung des Verbands. Da bekommt Watzke nicht einmal mit, was „sein“ Verband diesbezüglich auf Verbandstagen beschließt.


Und die Nationalelf? Von eher sekundärer Bedeutung. Ob dem Bundestrainer Außenverteidiger von internationalem Format zur Verfügung stehen, kann den großen Klubs egal sein – wichtig ist nur, dass sie selber solche im Kader haben. Nationalität? Egal. Das ist absolut legitim, bedeutet aber, dass diese Klubs dem Bundestrainer nicht zuarbeiten. Die Nationalelf ist nur insofern von Interesse, dass ihre schlechten Auftritte die Fußball-Stimmung im Land drücken – mit Auswirkungen auf die Vereine und Einschaltquoten.


By the way: Ist eigentlich schon jemandem aufgefallen, dass Fußball ein Sport ist, über den wir vorwiegend negativ reden?  Auch dann, wenn die Dinge einigermaßen ordentlich laufen. Ich glaube, dass die schlechten Auftritte der Nationalelf auch damit zu tun haben, dass die Stimmung rund um die Elf bereits seit Jahren fast ausschließlich negativ ist. Viele warten nur darauf, dass sich die Mannschaft ein weiteres Mal blamiert. Das wirkt auch in den Köpfen der Spieler. Irgendwann befindet man sich in einer Schleife, aus der man nicht mehr herausfindet.  


Das Ansehen des Verbands hat extrem gelitten. Frustrierend für die vielen guten Leute, die im Verband unterhalb der obersten Führungsebene arbeiten und tolle Arbeit abliefern. Die „Causa Watzke“ hat hier für Unruhe gesorgt – und das ist gut so. Die DFB-Führung hat hier in einem Ausmaß an Autorität eingebüßt, wie ich es nicht für möglich gehalten habe. 

Überhaupt: Unruhe an allen Ecken und Enden. Die Frauen äußern sich auch zusehends selbstbewusster. Und die DFB-Führung? Wirkt so alt, hausbacken, ideenlos, schwach und überfordert, dass mensch sich manchmal Oliver Bierhoff zurück wünscht. Ich halte nichts von Rufen nach „starken Männern" und „Führern“, aber ein bisschen hat Sammer mit seiner Kritik ja Recht. Wer hat beim DFB den Hut auf? Bernd Neuendorf wohl eher nicht.     

 

Dies wäre eigentlich der richtige Zeitpunkt, um die Verbandsführung komplett neu zu sortieren – im Sinne von mehr Diversität, insbesondere Geschlechter-Diversität, und einer Kultur, die nicht von breitbeinig daher kommenden Männern dominiert wird. Unter Einbeziehung von Gruppen und Initiativen wie beispielsweise „Fußball kann mehr.“ Auch die Struktur des Verbands gehört auf den Prüfstand. Last and least: Etwas mehr Fußballkompetenz täte der Führung ebenfalls gut.

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