ZEITSPIEL weekly

11.4.2023

"Unser" Fußball


Von Hardy Grüne 

 

Ausnahmsweise ging mein österlicher Fußballausflug mal in einen dieser Paläste des großen Glitzerfußballs. Sogar in den „Tempel“ höchstselbst, also dorthin, wo die „Echte Liebe“ wohnt, deren Fans allerdings etwas anfressen waren, denn das mit der „echten Liebe“ hatte beim gutbezahlten Personal weder am letzten Wochenende noch unter der Woche überzeugend geklappt. Natürlich war trotzdem alles ausverkauft in Dortmund, wie immer, zumal Verfolger 1. FC Union kam und seinen Beitrag zum Label „Spitzenspiel“ ablieferte. Etwas über 81.000 Menschen – das sind ungefähr zwei Drittel aller Einwohner von Göttingen, jener Stadt, in der ich seit meinem Weggang aus Dortmund vor über 40 Jahren lebe. Man muss unumwunden konstatieren: das ist Wahnsinn, und das belegt, welche enorme Sogwirkung der Glitzerfußball hat.

 

Weil er diese Sogwirkung auf mich schon geraumer Zeit jedoch nicht mehr hat, sind Ausflüge in meine Heimatstadt mit Fußballbezug ziemlich selten geworden. Es ist einfach nicht meine Welt. Die nicht enden wollende Kommerzmeile zum Stadion, die Scharen schwarzgelb Beschalter, angekarrt von überall her und verbunden durch eine Konsumenten-Identifikation, die eine gehörige Portion Selbsttäuschung beinhaltet (die zum Fansein allerdings immer dazugehört, egal, welche Spiel- und Finanzklasse). Rituale überall, vom Dosenbier auf der Hand bis zum sorgsam orchestrierten „You’ll never walk alone“ vor dem Anpfiff, warfen die Frage auf: ist es schon Inszenierung oder doch noch Fußball? 

Zu Beginn der zweiten Halbzeit verbanden sich beide Fantribünen zum gemeinsamen Protest. „Nein zu Investoren in der DFL!“, hieß es auf einem riesigen Banner auf der „Süd“. Pikanterweise direkt über der Werbetafel eines Sportwettenanbieters. Da wird die Gratwanderung schon deutlich. Als sich beide Fangruppen dann den Wechselgesang „Ihr macht unseren Sport kaputt, ihr „W**hser“ lieferten, klatschte ich einerseits Beifall, spürte andererseits aber auch Ärger. Was genau ist denn „unser Sport“? Und wer sind diese Leute, die „unseren Sport“ kaputtmachen? Mein Sport ist Fußball, und es ist nicht zuletzt die Bundesliga, die „meinen Sport“ schlicht durch ihre unglaubliche Dauerpräsenz und Dominanz „kaputtmacht“.

Wenn die DFL eigene Anteile verkauft, um ihren Mitgliedern mehr Geld in die Kassen zu spülen, hat das nichts mit „meinem Sport“ zu tun. Denn die Bundesliga befindet in den Händen von Investoren und Akteuren, für die Sport Geschäft ist. Dessen sollte man sich als Fan eines Bundesligisten bewusst sein und „unseren“ Sport nicht nur aus der eigenen Perspektive betrachten.

Aber ich will nicht meckern und schon gar nicht “whataboutism“ betreiben, denn die Proteste waren so wichtig wie begrüßenswert. Gegen die Pläne von Anteilsverkäufen an der DFL muss es klaren Widerstand geben. Dass Proteste Dortmunder Fans gegen die Beteiligung führender Personen aus der BVB-Führung bei dem geplanten Verkauf durch das Ordnerpersonal behindert wurden, wie mir berichtet wurde, bestätigt das nur. 


Auf den nicht ganz so schillernden Bühnen unseres Sports gab es über die Ostertage auch ein paar Aufreger. Ebenfalls in Dortmund endete am Ostermontag eine finanzgespeiste Kampagne, die einer ernsthaften Prüfung der 50+1-Vereinsstruktur kaum standhalten würde und bei der ein ehemaliges bezahltes Mitglied der BVB-Bundesligaelf zentrale Figur war bzw. ist. Im Spitzenspiel der Oberliga Westfalen kassierte der TuS Bövinghausen um Kevin Großkreutz eine 1:2-Heimniederlage gegen den FC Gütersloh und hat sich damit vermutlich aus dem Kreis der Aufstiegskandidaten in die Regionalliga verabschiedet. Das ist unumwunden zu begrüßen, denn Bövinghausen ist einer dieser Amateurklubs ohne belastbare Mitgliederstrukturen, die dem großen Geld und der noch größeren Klappe der Geldgeber erlegen sind. Es bleibt abzuwarten, wie der Klub den Ausflug ins Rampenlicht langfristig übersteht, Schaden genommen wird er am Ende zweifelsohne haben. 

„Unser Fußball“ hat in der Tat ein massives Problem mit Investoren. 


Natürlich gibt es auch ein paar schöne Fußball-Geschichten von den Ostertagen zu erzählen. Die schönste kommt aus Berlin. Da haben sich Nordost-Oberligist TuS Makkabi (5. Liga) sowie Berlin-Ligist Sparta Lichtenberg (6. Liga) in ihren Halbfinalspielen um den Berliner Landespokal gegen die Regionalligisten (4. Liga) FC Viktoria 89 (3:2, Makkabi) und BFC Dynamo (5:1!, Sparta) durchgesetzt. Damit kommt es im Finale zum Duell zwischen einem Verein mit jüdischem Hintergrund und einem Klub, der aus der Arbeitersportbewegung hervorging. Zwei Klubs mit besonderen Philosophien, die viel von der Liebe zum Fußball und der verbindenden Kraft des Fußballs erzählen. 


Abschließend ein Blick ins Mutterland des Fußballs und noch einmal auf die Sache mit den Investoren, deren Versprechen sowie dem damit verbundenen Risiko. Scunthorpe United vermeldete am Montag nach der 0:2-Heimniederlage gegen Oldham Athletic den Abstieg aus der fünftklassigen „National“. Es ist der dritte Abstieg binnen vier Jahren. Erst 2022 waren „The Iron“ nach 72 Jahren mit nur vier Saisonsiegen aus der Football League ausgeschieden. Und auch in Yeovil, einer ländlich gelegenen Kleinstadt zwischen Bristol und Bournemouth, irrlichtert man aktuell in Richtung Sechstklassigkeit. Dabei war Yeovil Town 2013/14 noch everybodys darling, als der kleine Klub in der zweitklassigen Championship aufspielte. Jahrelange Misswirtschaft und Besitzer, die störrisch an ihrem Willen festhielten und damit den Niedergang ihrer Klubs in Kauf nahmen, stehen hinter den Abstürzen der beiden Vereine. 


Wie resistent Tradition zugleich ist, zeigen drei andere Beispiele. Stockport County, vor einigen Jahren ebenfalls in die 6. Liga abgestürzter Traditionsklub, setzte sich am Montag mit einem 4:0 über Newport County auf einen Aufstiegsplatz in League 2 und träumt vom Durchmarsch von Liga 5 in Liga 3. Ebenfalls am Montag begrüßten Wrexham, 1864 gegründet, und Notts County, 1862 gegründet, über 10.000 Zuschauer zu ihrem Gipfeltreffen in der National (es wären deutlich mehr gekommen, hätte es auf der Baustelle Racecourse Ground mehr Plätze gegeben). In der 96 Minute parierte Wrexham-Keeper Ben Foster einen Handelfmeter und rettete den 3:2-Sieg des Wrexham AFC, der nun mit 103 Punkte die Tabelle anführt (Notts County hat 100) und nach 15 Jahren vor der Rückkehr in die Football League steht.

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