Unsere Ausgabe #32
Fußball und Musik
Kabinenpredigt
Neulich spielte die Country-Band „The Boss Hoss“ zum Bundesligaauftakt zwischen dem SV Werder und Bayern München im Weserstadion auf und intonierte die Nationalhymne. Man schüttelte den Kopf und war geneigt zu sagen, „hättet ihr mal Leute gefragt, die etwas davon verstehen“. Doch die Fußballfunktionäre scheinen wenig lernfähig zu sein. Als sei das Beispiel Helene Fischer beim Pokalfinale 2017 zwischen Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt nicht Warnung genug gewesen. Prompt kam, was kommen musste. Alec Völkel und Sascha Vollmer, die Frontmänner von „The Boss Hoss“, sangen gegen ein gewaltiges Pfeifkonzert an, was die Stadionregie mit maximaler Lautstärke zu kompensieren versuchte. Ein Desaster, in jeglicher Hinsicht.
Passen Musik und Fußball überhaupt zusammen? Geschmacksache. Trennen uns beim Fußball die Farben und Wappen, sind wir aber im Kern einer Meinung („Fußball ist geil“), ist es bei der Musik deutlich komplexer. Wer Pop mag, wendet sich bei Punk angewidert ab. Wer es mit Klassik hält wird bei Schlager schreiend die Flucht ergreifen. Die Schnittmenge in Sachen Musikgeschmack ist schmal, zumal sie auch noch von anderen Einflüssen geprägt ist. Darunter politische, schön zu hören bei Vereinen wie St. Pauli oder Babelsberg. Vor allem bei den großen Massenklubs Bayern und Dortmund, die eine wenig homogene Zuschauerschar treffend unterhalten müssen, kommt aber meistens nicht viel mehr als der übliche Popbrei heraus.
Und doch gehen Musik und Fußball schon seit Beginn des Fußballs Hand in Hand miteinander. Früher sang man bei Vereinsfeiern (dem dabei reichlich fließenden Alkohol werden wir sicher auch mal einen Leitartikel widmen), dann entwickelte sich verbaler Ruf-Support zur Unterstützung der Mannschaft in regelrechte Lieder (häufig gecoverte Popsongs), ehe die Ultras eine völlig eigenständige Gesangskultur auf die Ränge transportierten. Zudem ist Musik ein Thema, zu dem wohl jede und jeder eine Meinung und oft auch eigene Erfahrung hat. Kaum etwas ist so individuell wie der Musikgeschmack.
Die Berührungspunkte von Musik und Fußball sind dennoch zahlreich, wie wir für dieses Heft herausfanden. Fans singen auf den Rängen, namhafte Spieler musizieren selbst und schaffen es manchmal sogar in die Charts. Berühmte Musiker spielen gerne Fußball oder sind zumindest Fußballfans und vermischen ihre beiden Lieben in Songs, die sie dann vor einem Millionenpublikum zum Besten geben, in dem viele mit Fußball gar nichts am Hut haben. Elton John kaufte sich einst sogar einen Verein (Watford), Red Stewart ist glühender Celtic-Fan, die Gallagher-Brüder von Oasis drückten Manchester City schon die Daumen, als die „Blues“ noch an der Maine Road kickten. Und in Frankfurt haben Tankard der Eintracht eine wunderbare Hymne geschenkt.
Während Saudi-Arabien renommierte Fußballerbeine in der Familienpackung für absurde Preise in die Wüste holt und Forderungen erhebt, dem saudischen Meister künftig eine Wild Card für die Champions League zu erteilen, blickt man bei den Traditionsvereinen Alemannia Aachen, Bayern Hof und FSV Zwickau bescheidener in die Zukunft. In Aachen würde man gerne endlich wieder Gegner von angemessenem Namen im neuen Tivoli begrüßen und strebt in die 3. Liga. Der FSV Zwickau rappelt sich nach einem Katastrophenjahr in der 3. Liga in der Regionalliga wieder auf und macht dabei mit einem fanbasierten Finanzkonzept Furore, das möglicherweise bald vorbildlich ist. Im kultigen Stadion Grüne Au wiederum verharrt die SpVgg Bayern Hof schon viel zu lange im Abseits des großen Fußballs. In der alten oberfränkischen Industriestadt verblasst die Erinnerung an große Zeiten zunehmend, ist das Stadion in einem jämmerlichen Zustand, stellt sich Jahr für Jahr die Frage nach der Zukunft der Schwarz-Gelben.
Diese und weitere Geschichten aus der weiten Welt des nicht allzu glitzernden Fußballs erwarten euch in dieser Ausgabe. Wir wünschen gute Unterhaltung. Einigen wir uns auf „You’ll never walk alone“ als Begleithymne?
Unsere aktuelle Ausgabe
Leitartikel: Fußballstadien sind die größten Konzertsäle der Welt. Das gilt nicht nur, wenn Bruce Springsteen oder Taylor Swift auftreten, sondern vor allem im Alltag. Zehntausende singen ihren Lieblingsklubs Hymnen, und bis in die unterste Dorfliga begleitet Musik die Spiele. Wie und warum kamen Fußball und Musik zusammen?
Überleben im Turbokapitalismus: Alemannia Aachen, FSV Zwickau, Bayern Hof
Kleiderkammer: 1. FC Köln
Neues aus dem Unterbau: TSV 1860 Rosenheim, Berliner AK, VfR Mannheim, OSV Hannover, SV Meppen, Wattenscheid 09 und weitere
Jays Corner: SpVgg Böblingen
International: Partick Thistle (Glasgow), KÍ Klasksvik (Färöer)
Krisensitzung: Chemnitzer FC, FC Gießen, SC Fürstenfeldbruck, Southend United, FC Sochaux und CS Sedan.
Frauenfußball: And the Winner ist: Africa!
Bilderreise: Über 100 Jahre Fankultur bei der BSG Chemie Leipzig
… sowie die üblichen Rubriken wie Weltfußball/Fußballwelt, Willmanns Kolumne, Sautter spricht, Wappenstube, Früher war alles besser, Trinkpause, Buchmacher, Dietrich Schulze-Marmelings Kolumne, Stimme aus dem Kuchenblock etc.
Eine virtuelle Reise durch die Wappenwelt der englischen Football League seit 1888. Mit 139 Vereinen und über 1.400 Wappen.
"Früher war alles besser"? Nein, das sicher nicht. Aber früher standen Vereine im Mittelpunkt, die heute nahezu vergessen sind. Unsere Buchreihe ZEITSPIEL Legenden würdigt sie in ausführlichen Porträts
Der Pokal und seine Sensationen. In unserer Ausgabe #31 blicken wir zurück auf rund 90 Jahre Pokalsensationen im deutschen Fußball.