Sautter spricht
Für die Entscheidungen auf dem Platz gibt’s den Schiedsrichter. Für die Fairness jenseits der Seitenlinie legt sich Bernd Sautter ins Zeug.
Ausgabe #37
Auch Staatsanwälte haben ihren Ehrgeiz. Sie wollen ja Karriere machen, wie alle andern auch. Dabei ist es hilfreich, Prozesse anzustrengen, die bundesweit in die Medien kommen. Zumal wenn man dem Recht zur Geltung verhelfen kann. Gesetzeslücken sind immer gern genommen. Zum Beispiel das fehlende Zeugnisverweigerungsrecht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Fanprojekten. Wenn Law-and-Order gerade trendet und die Politik alles tut, um Fußballfans zu kriminalisieren, ist es vermutlich ein cooler Move unter Staatsanwälten, das Ding mustergültig durchzufechten. Übrigens: Mit dem Begri" „kriminalisierte Fußballfans“, meine geschätzten Leserinnen und Leser, sind Sie gemeint. Ja, genau Sie.
Die Szenarien des Schreckens, den Sie alle spieltäglich aufführen, will der jüngste Bericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) belegen. Der Statistik zufolge stieg in Liga 1, 2, 3 und im Pokal die Zahl verletzten Personen um 13,8 Prozent an (Saison 23/24 gegenüber 22/23). Das sind 162 Personen mehr als in der Vorsaison. Liest sich dramatisch, hat aber nur mit einem Spiel zu tun: Eintracht Frankfurt gegen VfB Stuttgart am 25. November 2023. Protokolle der Frankfurter Fan-Initiative „Der 13. Mann“ belegen, wie die Polizei wahllos mit Pfefferspray in die Menge sprüht und dabei jede Menge unbeteiligte Personen erwischt. So ist das halt. Wenn Fußballfans kriminalisiert werden, ist jedes Mittel recht. Tatsache ist: Der Anstieg der Verletzten geht nahezu vollständig auf das Konto eines einzigen Polizeieinsatzes in Frankfurt. Allerdings gehört es eher zu den kleineren Delikten, sich selbst eine Statistik zurechtzusprühen.
Das weitaus größere Debakel spielt sich in Karlsruhe ab. Neulich verurteilte das Amtsgericht Karlsruhe die Mitarbeiter des Fanprojekts, Volker Körenzig, Sophia Gerschel und Sebastian Staneker, zu Geldstrafen von 6.300 Euro, 5.400 Euro und 4.050 Euro. Begründung: Versuchte Strafvereitelung in 21 Fällen. Wohlgemerkt, die Drei versuchen mit großer Hingabe die oben zitierte Statistik zu verbessern. So wie viele Kolleginnen und Kollegen an anderen Standorten auch. Fast zwanzig Jahre aktive Fanarbeit belegen: Das funktioniert ziemlich gut.
All diese Erfolge stellt nun der Karlsruher Prozess in Frage. Hier wurden Leute verurteilt, die einen Job machen, der allen nützt. Sie werden dafür bestraft, dass sie ihren Job gut machen. Darüber hinaus erscheint das Verfahren rein faktisch als Farce. Die Polizei hatte alle Namen der Gesuchten sowieso auf ihren Zetteln. Die Auskünfte der Fanprojektler hätten Niemandem geholfen. Aber die Verteidigung argumentiert vergeblich. Sophia Gerschel betont, sie schütze nicht irgendwelche Täter, sie schütze ihren Job. Tatsächlich beruht jede Sozialarbeit auf dem Vertrauen, das die Leute denen entgegenbringen, die sich um sie kümmern. Also können Sozialarbeiter nicht diejenigen ans Messer liefern, die ihnen vertrauen. Übrigens: Die Liste von Berufen mit Zeugnisverweigerungsrecht ist lang, unter anderem Hebammen, Mitglieder des Bundestages, Patentanwälte und Zahnärzte. Aber die Politik hat es versäumt, soziale Arbeit gebührend zu schützen. Das wirkt weit über den Fußball hinaus. Würden Sie, werte Leserinnen und Leser, unter diesen Bedingungen einen sozialen Job übernehmen? Auf der Straße, in der Jugendhilfe oder in Fanprojekten? Tatsächlich berichten entsprechende Initiativen, dass sich bei Einstellungsgesprächen kritische Fragen zu diesem Punkt nicht mehr vernünftig beantworten lassen. Die Jobs sind noch weniger attraktiv geworden. Lukrativ waren sie schon zuvor nicht.
Während die Politik weiter schläft, hat die Staatsanwaltschaft ihren Job gemacht. Auf ihre Initiative wird im Namen des Volkes einem wichtigen Teil der Gewaltprävention in deutschen Stadien der Garaus gemacht. Es ist zu hoffen, dass die verantwortlichen Staatsanwälte weiterhin einen guten Schlaf genießen können. Damit sie gut erholt und voller Tatendrang die weiteren Abenteuer ihrer Karriere bestehen. .
Ausgabe #36
Nicht jeder von uns begrüßte die EM 2024 mit der ihr gebührenden Euphorie. Auch und gerade nicht in diesem Fachmagazin. Darum wollen gerade wir vom kommerzkritischen Zeitspiel Magazin die positiven Geschichten der EM hervorheben. Vor allem in modischer Hinsicht. Der adidas Move mit den Kickleibchen in rosarot war zweifellos das coole Ding des Sommers. Noch vor zwei Jahren hatte sich der DFB mit seiner Regenbogenbinde blamiert. Daraus wurde jetzt die Farblehre gezogen. Zudem hatte sich der Verband kommunikative Unterstützung besorgt – und zwar vom scheidenden Ausrüster adidas sowie der Agentur Jung von Matt. Diesmal passte alles: die Farbe, das non-verbale Statement und der wirtschaftliche Erfolg. Alles vollauf verdient! Wer sich den offiziellen Spot zur Trikotpräsentation aus dem März nochmal anschaut, erkennt deutlich, dass die Macher wussten, was sie provozieren. „Das ist doch kein Deutschland-Trikot“, empört sich eine Stimme aus dem Off. „Doch, isses,“ antwortet Flo Wirtz. Der pinklila Farbverlauf trifft die altdeutsche Verbotsfraktion voll auf die Zwölf. Die billige Empörung ist präzise kalkuliert.
Weil FarbpolizistInnen und andere Intoleranz-ExpertInnen sich nicht mit Denken aufhalten, springen sie brav übers farbenfrohe Stöckchen. Sie werden zum freiwilligen Teil der Inszenierung. Wortmeldung des Politmagazins Cicero: DFB-Funktionäre sollten aufhören, zu politisieren. Wortmeldung von Maximilian Krah, Ex-Spitzenkandidat der AfD bei der Europawahl: Regenbogenmannschaft. Wir können es ignorieren. Wortmeldung von Björn Höcke, einem gerichtsfest festgestellten Faschisten: Er könne sich mit der Nationalmannschaft nicht mehr identifizieren. Mit Pink und Lila waren zielsicher all diejenigen vor den Kopf gestoßen, die zwar Fantasien in deutschnationalen Angelegenheiten haben, dabei jedoch deutlich ins Braune tendieren. Deren versammelte Abwendung wird in der Folge zum wichtigen Beitrag zum Fußballhype im Sommer 2024. Alte Regel: Du kannst ausgelassener feiern, wenn du sicher bist, dass kein falsches Publikum auftauchen wird.
Tatsächlich hatte sich schnell herausgestellt: Pink und Lila schneiden niemandem die Männlichkeit ab. Dementsprechend gelassen reagierte die offizielle DFB-Kommunikation auf die Horrorszenarien der großdeutschen Angsthasen. Sie reagierte überhaupt nicht. Gut so! Neuendorf, Völler und Co. äußerten sich ausschließlich zu Farbfragen. Niemand machte den Fehler, sich auf eine Diskussion über Diversität einzulassen. Warum auch? Lila-pinke Menschenrechte sind genau so wenig verhandelbar wie alle anderen. Stattdessen werden die Trikots ausgerechnet gegen Ungarn eingesetzt. Worauf ein paar Stunden später bahnbrechende Verkaufsrekorde der pink-lila Trikots öffentlich werden, Ein verdienter Erfolg: Adidas schlägt damit den ungeliebten Nachbarn Puma, der die Check-24-Gratistrikots produzierte. Die EM-Stadien strahlen in Schwarz-Rot-Gold-Pink-Lila, dem angesagten Fashion-Style des Sommers.
Ausgeschieden sind die Deutschen übrigens in einem Spiel, im dem sie klassisches Weiß tragen – und obwohl die Spieler den Text der Nationalhymne einwandfrei beherrschen. Damit macht Deutschland den Weg frei für eine der schönsten Geschichten des Turniers. Sie erzählt vom offiziellen besten Spieler der EM, dem Spanier Nico Williams. Dessen Eltern waren einst von Ghana geflohen und barfuß durch die Sahara gelaufen. Eines Tages landen sie in der spanischen Exklave Melilla, Frau Williams bereits hochschwanger. Ein spanischer Priester namens Iñaki überzeugt sie, in Spanien zu bleiben. Kurze Zeit später kommen ihre beiden Söhne zur Welt. Iñaki wird nach dem Priester getauft. Nico wird Europameister. Trotz Rüdiger-Bashing und Graue-Wölfe-Symbolen sollen eben auch die schönen Geschichten der EM in Erinnerung bleiben. Übrigens: Familie Williams wollte ursprünglich ins Land des Finalgegners England weiter ziehen.