KLARTEXT
Wie patriotisch ist adidas?
Dietrich Schulze-Marmeling
(26. März 2024)
Der DFB wechselt von Adidas zu Nike, und Politiker aller Parteien sind in Aufruhr. So sehr, dass sie sogar ihre heilige Kuh „freie Marktwirtschaft“ zur Disposition stellen.
Die Kritik am Nike-Deal ist absurd. Und gerät zur Satire, wenn ein Friedrich Merz sie als „unpatriotisch“ kritisiert – Friedrich Merz, Ex-Lobbyist der US-amerikanischen Investmentgesellschaft Blackrock...
Wenn diese Entscheidung „unpatriotisch“ war, wie nennen wir dann den Verkauf von VW-Anteilen an Katar? VW ist ja sozusagen das Adidas der deutschen Autoindustrie. Und dank Gerd Schröder und Angela Merkel wissen wir, dass die deutsche Autoindustrie das Rückgrat der deutschen Industrie überhaupt ist.
Dass AfD-MdB Rainer Kraft fordert, die deutsche Mannschaft habe „natürlich in Trikots eines deutschen Ausrüsters aufzulaufen“ überrascht nicht weiter. Mehr schon, dass Robert Habeck auch nicht besser klingt: Er hätte sich „ein Stück mehr Standortpatriotismus“ gewünscht. Kommerz habe „eine Tradition und ein Stück Heimat vernichtet.“
Jan-Christian Müller kommentiert in der „Frankfurter Rundschau“: „Wo ist Heimat vernichtet worden, als die Handball-Nationalmannschaft von Adidas zu Puma, Hummel, Nike, Kempa und wieder zu Puma wechselte? Dass der Fußball hierzulande als politische Projektionsfläche dient, wissen wir spätestens seit der WM in Katar. Aber einen Ausrüsterwechsel ins Scheinwerferlicht nationaler Interesses zu stellen, ist absurd. Und es ist gefährlich, denn ein ungesundes Maß an Deutschtümelei machen sich Leute zu nutze, die ‚Deutschland zuerst‘ nicht nur an drei Streifen ablesen.“
Hätte sich der DFB für das deutlich schlechtere Angebot von adidas entschieden, hätte ich die Führung nicht eines übertriebenen Patriotismus‘ verdächtigt. Sondern: Die haben sich bestechen lassen! Verantwortungslos wäre es obendrein gewesen, angesichts der finanziellen Probleme des Verbands, die die aktuelle Führung nicht verursacht, sondern geerbt hat.
Apropos „Standortpatriotismus“ (Robert Habeck): Adidas produziert seine Artikel fast ausnahmslos außerhalb Deutschlands, vor allem in Südostasien. Adidas ist kein deutsches Unternehmen, sondern ein globales. Und wir haben null Probleme damit, wenn andere Nationalmannschaften (Spanien, Italien etc.) in Adidas auflaufen, also in "deutschen Trikots".
Friedrich Merz kritisiert, dass der DFB „aus rein ökonomischen Gründen“ den Ausrüster wechselt. Aus der Sicht der Kritiker des DFB scheint es aber völlig in Ordnung zu sein, wenn Adidas aus „rein ökonomischen Gründen“ seine Produktion in Länder verlagert, wo die Arbeitskräfte billiger sind als hierzulande und Arbeitnehmerechte kaum oder gar nicht existieren. Adidas ist da nicht besser als Nike.
Wie sehr Adidas die heimische Wirtschaft am Herzen liegt, durften wir während Pandemie beobachten. Ende März 2020 kündigte Adidas – trotz mehrerer Milliarden Euro Vorjahresgewinn – an, die vertraglich vereinbarten Mieten für seine geschlossenen Einzelhandelsgeschäfte nicht zu zahlen. Bei der Jahreshauptversammlung im Mai 2021 gab das Unternehmen dann bekannt, dass es seinen Aktionären eine höhere Dividende als in den Jahren 1999 bis 2017 auszahlen möchte.
Den Wechsel von Adidas zu Nike mit Kommerzkritik zu verbinden ist komplett absurd. Die Entwicklung der WM zu einer „Kommerzveranstaltung“ haben wir nicht zuletzt Adidas und Horst Dassler zu verdanken. Zum Zwecke der globalen Expansion der Firma wurden jahrelang Sportfunktionäre bestochen und Wahlen in den Verbänden beeinflusst. Die FIFA-Bosse João Havelange und Sepp Blatter kamen mit Hilfe von Adidas in ihr Amt.
Auch ist es mitnichten so, dass Nike auf dem deutschen Mark ein neuer Player ist. Der erste Bundesliga-Verein, der in Nike-Klamotten auflief, war meiner Erinnerung nach Borussia Dortmund (1992/93?). Beim BVB war man damals saumäßig stolz. Nike-Trikots waren ein Ausweis für Modernität.
In den Dorfvereinen - also an der Basis - ließ sich beobachten, dass die Kinder ab der D-Jugend ihre Adidas-Treter gegen welche von Nike eintauschten - die waren cooler.
Bei den Vereinen - bis hinunter ins Amateurlager - verlief dieser "Ausrüsterwechsel" offenbar problemlos. Patriotische Einsprüche gab es nicht. Der Nationalmannschaft fällt offenbar die Aufgabe zu, eine Zeit zu repräsentieren, die nicht mehr existiert. (Siehe auch Debatte um "Die Mannschaft" - so blöd wie "Mia san Mia" und "Echte Liebe", aber im Falle der Bayern und des BVB völlig okay.)
By the way: Bernd M. Beyer und ich schreiben aktuell an einer "politischen Geschichte" der Nationalmannschaft. Erscheint im Herbst 2024 bei edition einwurf.
ZEITSPEL-Ausgabe #34.
Eine andere Geschichte der EM
Europas Fußballelite ist zu Gast im Lande und feiert ein großes und durchaus exklusives Fest. Fernab von Jubelbildern des durchchoreografierten Großevents machen wir uns auf die Suche nach dem historischen „Markenkern“ des Turniers, bevor die UEFA ein „Produkt“ daraus machte. Eine etwas andere Vorbereitung auf die EM 2024.