KLARTEXT

Unterhaching

Dietrich Schulze-Marmeling

(31. Mai 2023)  

 

Die 3. Liga ist eine brutale, vielleicht die brutalste aller Fußballligen. Sie ist teuer, während die Einnahmen eher gering sind. Von den 20 Mannschaften steigen vier ab und bis zu drei auf. Die Liga kann sich also jede Saison um ein Drittel verändern. Der Wunsch nach einem Aufstieg ist deshalb extrem weit verbreitet. Ebenso die Angst vor einem Abstieg. Dies verleitet zu einer Politik der Überinvestition – mit Folgen für nachhaltiges Handeln, manchmal auch fürs Überleben. Es ist eine Panik-Liga und die Liga der Enttäuschten.

Die SpVgg Unterhaching hat nun ernsthaft über einen Verzicht auf den Aufstieg in die 3. Liga nachgedacht – zumindest auf einen Verzicht zum aktuellen Zeitpunkt.

Vermutlich betrachtet man die vorhandene Basis als nicht ausreichend für das Abenteuer 3. Liga. 2019 ging der Verein an die Börse. Der Wechsel von Karim Adeyemi, ein Produkt der Hachinger Nachwuchsarbeit, nach Salzburg sowie sein Weiterverkauf an den BVB spülten einige Millionen aufs Konto. Diese wurden benutzt, um Bankdarlehen zu tilgen, die Infrastruktur zu stärken sowie für Investitionen ins NLZ. Zum Börsengang heißt es im Geschäftsbericht der KGaA für die Saison 2021/22: „Im Nachgang hat uns die Corona-Pandemie im wahrsten Sinne des Wortes einen Strich durch die Rechnung gemacht. (…) Die gravierenden Missverhältnisse im bezahlten Profifußball wurden dabei mehr als sichtbar gemacht und waren vor allem in der 3. Liga spürbar. Zu unserem großen Bedauern wurde an dieser Schieflage in den Verbänden nichts zum Guten verändert.“ In der Saison 2020/21 waren die Hachinger in die Regionalliga abgestiegen. Der Börsengang hat bis heute nicht das gewünschte Ergebnis gebracht.

Laut transfermarkt.de beträgt der aktuelle Kaderwert der Unterhachinger 4,1 Mio. und liegt damit deutlich über dem der anderen Regionalligameister. Preußen Münster kommt auf 3,1 Mio., Energie Cottbus auf 3,05, SSV Ulm auf 2,95 und der VfB Lübeck auf 2,51.

Die SpVgg will den Nachwuchsbereich nicht zugunsten des Profiteams vernachlässigen, also keine Gelder aus diesem in den Profibereich umschichten. Die Vereinsführung blickt somit über die nächste Saison hinaus und hält an der vor einigen Jahren getroffenen strategischen Entscheidung fest: Das Team soll zu einem nicht unerheblichen Teil aus Eigengewächsen bestehen. Vorteil: Die Ausbildungskosten sind geringer als die ansonsten notwendigen Transferausgaben. Die besten Eigengewächse werden verkauft und sichern so die finanzielle Existenz des Vereins.

Bei einem Aufstieg besteht häufig die Gefahr, dass die guten Vorsätze, auf die man sich nach dem letzten Abstieg geeinigt hat, wieder über Bord geschmissen werden. Mit Folgen für die sportliche und wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Bringt die interne Umschichtung der Finanzen nicht den gewünschten Erfolg, steht man wieder dort, wo man schon beim letzten Abstieg stand: Die Kasse ist leer und das Fundament für einen Neuanfang geschwächt. Geld kann man nur einmal ausgeben. 

Wie man es nicht macht, hat viele Jahre der Hamburger SV demonstriert. Jan-Christian Müller schreibt in der Frankfurter Rundschau: „Dem HSV war es 2014 gelungen, seine Profiabteilung aus dem Verein herauszubrechen, in eine AG umzuwandeln und so Geld einzusammeln. Danach sollte alles besser werden, nachdem zuvor eine für einen neuen Nachwuchscampus auferlegte Fananleihe über 17,5 Mio. Euro in Spielergehälter und Trainerabfindungen gingen statt in die Talentförderung. Den Campus finanzierte dann freundlicherweise der Unternehmer Alexander Otto.“  

 

Wie man es richtig macht, wenn man nicht Bayern München oder Borussia Dortmund heißt, demonstriert seit vielen Jahren der SC Freiburg. Der Fünfte der Saison 2022/23 rangiert im ligainternen Ausgaben-Ranking der vergangenen zehn Spielzeiten auf Platz 17. Am Anfang stand eine strategische Entscheidung: Als für den SCF erstmals das „große Geld“ floss, investierte man dieses nicht in Spielereinkäufe, sondern in den Aufbau der Freiburger Fußballschule. Die U23 wurde in dieser Saison in der 3. Liga Vizemeister, gehört somit sportlich eigentlich in die 2. Liga. 

Christian Streich über die Bedeutung der Nachwuchs- und Ausbildungsarbeit für den SCF: „Wir sind überglücklich, wenn die Jungs in der Fußballschule so betreut werden von den Pädagogen und den Trainern, dass sie fähig sind, in der der Bundesliga zu spielen, das ist für uns ein Geschenk, das ist unsere Identität. Auf Dauer wirst du ausgeblutet, von dem her ist die Fußballschule für uns ein absolutes Lebenselixier.“ 

Viele finden den Freiburger Weg ganz toll, manche behaupten sogar, sie würden ihn kopieren. Tatsächlich trifft dies nur für ganz wenige Adressen zu. Denn für den Freiburger Weg bedarf es nicht nur sportlicher und wirtschaftlicher Kompetenz, sondern auch Mut, Charakter und innere Stärke. Auch muss man bereit sein, nicht alles wieder umzuwerfen, wenn es mal nicht so gut läuft. Und bei den Federführenden muss ein Wille zur gemeinsamen Entwicklung existieren. Diesbezüglich ist der SCF das Gegenmodell zum aktuellen FC Bayern. Mag sein, dass Kahn der falsche Mann war. Trotzdem irre, wie schnell sich dort das Personalkarussell dreht. Man könnte sich ja auch zusammensetzen und diskutieren: Was können wir besser machen? Welche Seiten an uns müssen wir entwickeln? Und warum gelten für Hoeneß und Rummenigge andere Regeln? Wenn ich es richtig sehe, sind die angeblichen oder tatsächlichen Fehlbesetzungen Kahn, Salihamidzic und Nagelsmann das Werk der beiden Rückkehrer gewesen. Und was ist eigentlich mit Herbert Hainer? Auch Hoeneß und Rummenigge haben in ihrer alten Amtszeit immer wieder Fehlentscheidungen getroffen – gehen mussten sie dafür nie. 

  

Das Gros des Fußball-Business‘ spielt aber nach anderen Regeln. Geld wird verbrannt, anschließend wird panisch nach neuen Geldquellen gesucht. Geld kompensiert häufig einen Mangel an Kreativität, Kompetenz, weitsichtiger Planung, Nachhaltigkeit. Weshalb es auch so furchtbar nervt, wenn immer nur geschaut wird, wo man noch einige Euros zusätzlich heraus pressen kann.

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