KLARTEXT

Fällt jetzt 50+1?

Hardy Grüne


(22. Februar 2024)  

  

 

6:0, 6:0 könnte man sagen, um im Tennisjargon zu bleiben. Kleine gelbe Filzbälle haben eines der umstrittensten und ambitioniertesten Projekte der jüngeren deutschen Profifußballgeschichte gestoppt. Die Fans jubeln, Aki Watzke und Martin Kind weinen. Was niemand wirklich geglaubt hat, wurde durch Hartnäckigkeit, Kreativität und nicht zuletzt Unterstützung weit über die Kurve hinaus perfekt. 

Es war Thomas Kessen von „Unsere Kurve“, der in der Talkshow „Hart aber fair“ nicht nur den Publikumspreis abräumte, sondern vor allem den des bestinformierten und eloquentesten Gesprächsrundenteilnehmers. Kessen – und auch die gleichfalls brillante Mia Guethe – konterten Martin Kind gelassen aus, griffen ihn dort an, wo Moderator Louis Klamroth lieber ausgerechnet RB-Kunden nach ihrer Meinung über Investoren befragte und zeigten ein derart tiefes Wissen und Verständnis für die ganze Angelegenheit hinter den Tennisbällen, dass sich sogar Markus Babbel aufgeklärt fühlte, die wohl grandioseste Fehlbesetzung in der Geschichte der Fußball-Talks.

Nach der Sendung (hier in der ARD-Mediathek) war die Nation jedenfalls deutlich schlauer, warum Tennisbälle fliegen und dass es eben nicht nur „die Ultras“ sind, die protestieren. Und dass die „Gegenseite“, die von demokratischen Entscheidungswegen und Transparenz spricht, genau diese Dinge im gesamten Prozess hatte vermissen lassen. 6:0, 6:0.

Martin Kind wehrte sich tapfer und verteidigte seine Position, denn man muss ihm zugutehalten, dass er irgendwie auch Bauernopfer war. Jeder wusste, er hat mit „ja“ gestimmt. Und sicher, hätte er es endlich zugegeben, wäre es ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Die wichtigere Frage aber war: Warum saß Aki Watzke nicht da? Während Kind sich dem Sturm stellte, duckte sich der Dortmunder Dampfplauderer weg. 

 

Der Sieg ist nun eingefahren, und es gibt gute Gründe zu feiern. Die vereinsübergreifenden Proteste, das kreative und friedliche Gesamtbild, die Beharrlichkeit, das Gespür für die Grenze, an der es zu einem Spielabbruch kommt, den niemand wollte. Ein Bravo an die Szenen zwischen München und Kiel. Deutschlands Kurven haben an Reputation gewonnen. Denn diese Entscheidung hinterlässt Spuren. Dieser 20. Februar 2024 stärkt jene Strukturen, die Deutschlands Fußball ausmachen. Mitgliedergeführt, demokratisch, offen und tolerant.
 

Dennoch geht die Arbeit nun erst los, denn es ist zu vermuten, dass die Fronten sich verhärten. Martin Kind hat in „Hart aber fair“ keinen Zweifel daran gelassen, dass er 50+1 ans Leder will. Alle schwören ja inzwischen auf diese Regelung. Selbst Aki Watzke hält 50+1 für einen wichtigen Teil des Kulturguts Fußball. Doch der schändliche Umgang der DFL mit der 50+1-Regel in der Vergangenheit könnte zum Bumerang werden. Denn was Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim und das Leipziger Konstrukt dürfen, will auch Kind in Hannover. Volle Macht für volles Geld. Und es ist zu befürchten, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) gute Gründe finden wird, ihm zuzustimmen. Denn mal ehrlich: Kind hat ja recht. 50+1 IST längst ausgeschaltet. Allerdings nicht für ihn.
 

Die Regel wird fallen, vermute ich. Demnächst werden dann also in Mainz, Bochum und Augsburg saudische Scheichs auf der Matte stehen und mit Millionen winken, sofern sie die volle Kontrolle bekommen. Na ja, vielleicht doch eher nicht in Mainz. Sondern beim BVB, den Bayern, dem HSV und den anderen Kandidaten, die das Zeug für einen Global Player haben. Genau darauf sollte sich die Liga vorbereiten, genau darauf sollten sich auch die aktiven Fans vorbereiten. Denn es kann die Situation eintreten, in der die DFL glaubwürdig versichert, sie würde 50+1 gerne behalten, dürfe es aber nicht. Jetzt muss man sich Gedanken machen, wie die Strukturen des deutschen Fußballs in einem solchen Fall dennoch gewahrt werden können. Und dass sie bewahrenswert sind, hat diese Woche bewiesen. 

 

Über allem steht natürlich das, was Martin Kind in „Hart aber fair“ auch gesagt sagt: Das System Fußball ist längst kaputt, es braucht ständig neues Geld. Davon wird es allerdings nicht wieder heile, sondern läuft lediglich ein Stückchen weiter. Bis es wieder Geld braucht.

 

Wie bescheuert ist das eigentlich? 

ZEITSPEL-Ausgabe #33.
Fankultur im Unterbau

Kein Videobeweis, keine personalisierten Tickets. Kein bombastisches Rahmenprogramm, keine Erfolgsfans, keine VIP-Tribüne. Der Fußball unterhalb der Glitzerebene ist anders. Ursprünglicher, geerdeter, authentischer. Wir sind durch die Republik gereist und haben Fans unterhalb des Profifußballs besucht, die das Motto „Support your local football team“ leben. Und die Verantwortung in ihren Klubs übernehmen und ihm damit die Zukunft sichern.