KLARTEXT
Umschaltspiel für die Nachhaltigkeit
Von Gerd Thomas
(23. März 2023)
„Wir sind zu langsam! Wir sind zu zaghaft!“ Mit diesen beiden Sätzen begann ein Artikel, den ich vor gut einem halben Jahr geschrieben habe. Gestern fand beim DFB das sehr gut organisierte und moderierte Dialogforum Nachhaltigkeit statt.
Fast 200 Leute füllten den Saal, zu Beginn gab es eine Reihe von Statements, angefangen beim Präsidenten Bernd Neuendorf über die Staatssekretärin Juliane Seifert bis hin zu DFB-Vize Celia Šašić und Turnierdirektor der EURO 2024 Philipp Lahm und Steffen Simon, dem noch relativ neuen Direktor für Kommunikation und Gesellschaftliche Verantwortung. Für alle, die schon länger mit dem Verband zu tun haben, war das ganz schön viel Diversität, was auch am Nachmittag in den Panels bestätigt wurde.
Für die Zusammenstellung muss man den Organisatoren erst einmal ein gutes Zeugnis ausstellen.
Inhaltlich war es dann eher zurückhaltend, viele Allgemeinplätze, nur selten gab es den Mut, sich auf Dinge festzulegen oder gar Ziele zu formulieren. Das galt nicht nur für den DFB, das galt auch für die meisten Podiumsgäste. Einzig der Meteorologe Sven Plöger und der ebenfalls aus dem Fernsehen bekannte Dr. med. Eckart von Hirschhausen wurden deutlicher. Besonders betroffene Mienen gab es, als Plöger erläuterte, was 2 Grad mehr auch für den Fußball bedeuten würden, z. B. mittags und nachmittags keine Spiele mehr, sofern man nicht mit der Gesundheit der Aktiven spielen möchte. Denn Hitzschläge oder Dehydrierungen dürften nicht ausbleiben, man weiß nur nicht, wen es trifft.
Die Betroffenheit der Anwesenden hätte für die Panels am Nachmittag erwarten lassen, dass es dort etwas entschlossener zugehen würde, steht die EURO2024 doch im Zeichen der Nachhaltigkeit. Aber vielleicht kam die Pause zur Unzeit. Beim Mittagessen (fleischlos traute man sich nicht, auch wenn ein DFB-Grande auf dem Podium die Vorzüge von Falafel pries) wurden Netzwerke geknüpft, Bekannte begrüßt, die jeweils persönliche Agende der Gäste abgearbeitet. Ich will mich da gar nicht ausnehmen, nicht zuletzt deswegen nimmt man „travelling with Deutsche Bahn“ (acht Stunden von Berlin nach Frankfurt inkl. eines durch Frankfurter Fans und eines dünnhäutigen Schaffner ausgelösten Polizeieinsatzes mit einer Stunde Wartezeit am Bahnhof Wolfsburg) auf sich.
Die Bahn wäre eigentlich ein guter DFB-Sponsor für einen umweltbewussten Fußball. Stattdessen sind es große deutsche Autohersteller, Fluglinien, Sportartikelhersteller und ein internationales höchst zuckerhaltiges Getränk, darüber hinaus sogar gleich zwei Wettanbieter. Nicht einfach, nimmt man die UN-Nachhaltigkeitsziele zur Grundlage. Wobei die anwesenden Sponsoren durchaus um ihre Verantwortung wissen, gleichwohl aber natürlich vom Börsenkurs getrieben sind. Der DFB kann nach dem schweren Erbe, das die Vorgängercrew dem in vielerlei Hinsicht neuen Präsidium hinterlassen haben, nicht gerade wählerisch sein, wenn es um Unterstützung geht.
Interessant waren vor allem die Beiträge der Leute aus den Landesverbänden und Vereinen, die darauf hinwiesen, dass zur Nachhaltigkeit auch funktionierende Ehrenamtsstrukturen gehören, gar Sportplätze (Vorwärts Spoho 98 e.V.) in ein Pressezentrum umgewidmet werden und damit nicht für die dort ohnehin beengten Vereine nutzbar sind. Ich selbst sprach mich dafür aus, dass vorangehende Vereine und Initiativen besser unterstützt werden müssten, damit sie nicht auf halben Weg zum Erliegen kommen, weil das Ehrenamt überfordert ist. Eine Kollegin aus Hessen sprach die Überforderung vieler Vereine an, ein Kollege aus Mittelrhein die negativen Auswirkungen der Diskussionen um Qatar auf den Amateurfußball. Immerhin: DFB-Vize Amateure Ronny Zimmermann nahm meinen Einwand auf und lud unverzüglich die Partner des DFB zum Amateurkongress ein, der aber noch nicht terminiert ist. Dieser wird schnell gebraucht, und zwar mit wenig Frontalunterricht, dafür mit vielen Möglichkeiten der Basis, ihre Anliegen loszuwerden und Lösungsansätze für die mannigfachen Probleme der Amateure zu entwickeln.
Ein Berater des DFB hob noch einmal auf die Gemeinschaft des Fußballs ab, welche dieser zur EURO 2024 auch abbilden sollte. Das allein wird nicht ansatzweise reichen, um die (Fußball-)Welt zu retten. Wir müssen uns da schon mehr zutrauen, wir können auch deutlich mehr umsetzen. So wurde noch nicht einmal darüber geredet, ob es nicht einen Fairtrade-Spielball bräuchte, ob bei der Produktion und beim Konsum von Sportartikeln ein Umdenken her muss, so wie die Leute von Sport Handelt Fair es schon lange fordern. Der DFB würde bestimmt gern seiner Verantwortung nachkommen, die Stakeholder wissen, was zu tun wäre. Aber es ist eben zweimal Konjunktiv. Und gern versteckt man sich hinter der sozialen Nachhaltigkeit, mit der man begründet, dass viele ökologische Standards nicht umgesetzt werden. Als wäre Verfechter:innen der UN-Nachhaltigkeitsziele die Gerechtigkeit egal. SDG 1: Keine Armut! SDG 2: Kein Hunger!"
Mein Fazit bleibt: Wir sind zu langsam! Wir sind zu zaghaft! Immerhin waren wir an diesem Tag schon mal deutlich vielfältiger als zuletzt. Insofern ist in meinen Augen das Glas halb voll, also eine Entwicklung gegenüber früher zu erkennen. Es braucht aber insgesamt mehr Umschaltspiel, mehr Zug nach vorne, mehr Entschlossenheit, die Chancen zu verwerten, wollen wir das Endspiel wirklich gewinnen.
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