KLARTEXT
Der DFB und seine mutigen Schritte
Dietrich Schulze-Marmeling
(18. September 2023)
Die DFB-Elf absolviert gegen Vize-Weltmeister Frankreich ein ordentliches Spiel. Andreas Rettig wird neuer Geschäftsführer Sport des DFB. Woraufhin Karl-Heinz Rummenigge und Oliver Mintzlaff die Task Force verlassen.
Drei gute Nachrichten binnen von weniger als einer Woche. Und alle drei Nachrichten haben mit dem DFB zu tun. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.
Die Ernennung von Andreas Rettig war eine mutige, souveräne und in die richtige Richtung weisende Entscheidung. Vor einigen Tagen habe ich noch die weitgehende Nicht-Präsenz von DFB-Präsident Bernd Neuendorf bemängelt. Dabei ging es um die „Causa Watzke“ bzw. dessen auf Unkenntnis beruhenden Kritik an der Reform der Ausbildung. Da muss ich mich nun korrigieren.
Die Reaktion bzw. der Rücktritt der Herren Rummenigge und Mintzlaff ist kindisch und unsouverän, aber nichts, was bedauern muss, wer den Fußball liebt. Der (im Netz vielfach begrüßte) Rücktritt riecht nach einer billigen Retourkutsche, demonstriert aber auch, wie wenig den Herren am Gesamtsystem Fußball (einschließlich der Nationalelf) gelegen ist – und dies besteht eben nicht nur aus dem FC Bayern, dem BVB sowie RB und deren Interessen.
Dass die DFB-Führung sie nicht vor Rettigs Inthronisierung konsultiert hat, hinterlässt die Herren zutiefst beleidigt. Muss der DFB dies tun? Nein. Schon gar nicht muss der Verband Oliver Mintzlaff konsultieren.
Mintzlaff ist seit einem Dreivierteljahr funktionslos im hiesigen Fußball. Zum 15. November 2022 trat er als Vorstandsvorsitzender des RB Leipzig e. V. und als Geschäftsführer der RB Leipzig GmbH zurück. Seither ist er CEO Corporate Projects und Investments Mitglied der dreiköpfigen Geschäftsführung der Red Bull GmbH.
Des Weiteren sitzt Mintzlaff im Vorstand der mächtigen Klub-Vereinigung ECA. Den ECA-Statuten muss die Person dafür in einem Klub ein Amt in geschäftsführender Rolle oder ein Amt als Vorstand oder Präsident bekleiden. Die ECA ließ Mintzlaff trotzdem zur Wahl zu.
Boss der ECA ist der Katarer Nasser Al-Khelaifi, Präsident von Paris-Saint-Germain. Al-Khelaifi sitzt bei Verhandlungen über die TV-Rechte an der Champions League an beiden Seiten des Tisches. Denn er ist auch Geschäftsführer des katarischen Sportsenders „beIN Sports “. Auch Mintzlaff darf auf beiden Seiten Platz nehmen. (Nebenbei: Als Geschäftsführer der Red Bull GmbH ist er auch Chef des österreichischen Senders Servus TV, der die Champions League in Österreich zeigt. Servus TV ist der „Heimatsender des österreichischen Rechtspopulismus“ („Süddeutsche Zeitung“), der in seinen Talkshows auch beinharte Rechtsextremisten wie Götz Kubitschek und den Identitären-Chef Martin Sellner willkommen heißt. Während der Covid-19-Pandemie fiel der Sender wiederholt durch Falschinformationen auf und avancierte zum Haussender der „Querdenker“.)
Was hatten Mintzlaff und der RB-Konzern in der Task Force zu suchen? Meines Erachtens nichts.
Zur Retourkutsche: Als DFL-Geschäftsführer hat Andreas Rettig mit seinem Pochen auf die Einhaltung von 50+1 RB mächtig genervt. Nach Leipzigs Aufstieg in die 2. Bundesliga hatte Rettig Bedenken, dass eine Lizenzierung des Fußballunternehmens gegen die „50+1"-Regel im deutschen Profifußball verstoßen könnte und stimmte daher der Lizenz für das Red-Bull-Projekt nicht zu. Rettig. „Ich hatte meine Unterschrift unter die Lizenz für RB Leipzig verweigert."
Aber Rettig besaß als Geschäftsführer nicht das letzte Wort. „Der Lizenzierungsausschuss hat dann anders entschieden."
Später äußerte er Verständnis für den Anti-RB-Protest, „weil hier ja das System quasi auf den Kopf gestellt wird – während alle anderen Vereine zuerst sportlichen Erfolg haben müssen und dieser wird dann kapitalisiert.“
Rettig gehört zu den stärksten Befürwortern der „50+1"-Regel, die es Investoren erschweren soll, deutsche Profi-Klubs zu übernehmen. Er plädierte für einen „eigenen Weg“ der Bundesliga – in Abgrenzung zum Gebaren der Premier League.
Mit den Bayern lag er beim Thema TV-Gelder über Kreuz. Erstmals öffentlichkeitswirksam anlässlich der sogenannten „Kirch-Affäre“ 2002. Der FC Bayern hatte damals mit der Firmengruppe des Medienunternehmers Leo Kirch geheime Verträge abgeschlossen. Der Rekordmeister ließ sich dafür bezahlen, dass er nicht aus der Zentralvermarktung der Bundesliga ausstieg.
In jüngerer Vergangenheit hat sich Rettig vor allem als Kritiker der FIFA-Führung und der WM in Katar sowie des windigen (und letztlich gescheiterten) Investorenmodells der DFL profiliert.
Unabhängig vom neuen Aufgabengebiet spricht also viel für Rettig. Als Geschäftsführer Sport hat er mit diesen Konfliktfeldern jedoch wenig zu tun. Da geht es um die Nationalmannschaften des DFB, die hauseigene Akademie bzw. die Ausbildung.
Was die Ausbildung anbelangt, ist Rettig ein ausgewiesener Experte. Schließlich war er von 1998 bis 2002 Sportdirektor des SC Freiburg. Als solcher plädierte er damals dafür, „frisches Geld“ in die Akademie und Ausbildung zu investieren, anstatt dies wild für Neueinkäufe zu verballern. Rettig dachte und handelte strategisch und nachhaltig. Bei seiner letzten Station als Manager bei Viktoria Köln quittierte er den Dienst, als dort die Nachhaltigkeit auf der Strecke blieb.
Gut möglich, dass Rettig von den Topklubs eine stärkere Unterstützung für die Nationalelf einfordern wird. Beispielsweise durch eine Überprüfung und Verbesserung ihrer Ausbildung. Gut möglich, dass Rettig seine Vorstellung von einem „eigenen Weg“ der Bundesliga mit diesem Thema und den Auswahlmannschaften des DFB verbinden wird. Für das Gesamtsystem Fußball wäre das nur gut.
Gut möglich auch, dass die Herren Rummenigge und Mintzlaff genau dies befürchten. Ein meinungsstarker und von ihnen unabhängiger Geschäftsführer Sport, der ihnen und „ihren“ Vereinen die Show stiehlt, ist so ziemlich das Letzte, was sie sich wünschen. Bereits das Duo Löw/Bierhoff hat sie heftig genervt. Für einen gewissen Zeitraum lag damals die inhaltliche Führung im deutschen Fußball nicht bei den großen Vereinen, sondern beim DFB.
Last but not least geht es um die EM. Andreas Rettig ist zuzutrauen, dass er zu einer Aufbruchstimmung beiträgt. Auch dürfte er bei den Fans – zumal den kritischen – über eine höhere Akzeptanz als sein Vorgänger Bierhoff verfügen.
Wer für die letzten Tage eine Gewinn- und Verlustrechnung aufmacht, findet unterm Strich also ein dickes Plus. Andreas Rettig ist ein Gewinn, das Ausscheiden der Herren Rummenigge und Mintzlaff ebenfalls.
Bemerkenswert: Aki Watzke hat sich aus der Task Force nicht verabschiedet. Spannende Zeiten.
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