KLARTEXT

Aus ist der WM-Traum

Dietrich Schulze-Marmeling


(4. August 2023)  

  

Nun ist es ihnen ergangen wie den Herren 2018 und 2022. Ausgeschieden in der Vorrunde. In einer Gruppe, die als einfach galt. Wer ist schon Marokko? Und Südkorea? Machbar. Kolumbien? Okay, könnte etwas schwieriger werden. 

Ob das Team so dachte? Ich weiß es nicht. Meine Zunft der Journalistinnen und Journalisten mehrheitlich sehr wohl. Waren die damit verbundenen Ansprüche berechtigt? Vielleicht. Vielleicht waren sie aber auch der eigenen Fehleinschätzung und Arroganz geschuldet. Wofür Trainer und Trainerinnen entlassen werden, Journalistinnen und Journalisten aber nie.

Nach der tollen EM wurden Team und Trainerin stark gehyped. Dabei kam ihnen entgegen, dass das Team der Männer langweilte und sportlich nicht mehr dem Anspruch auf Weltherrschaft gerecht wurde. Dazu noch eine WM vor der Tür, die viele nicht mochten, die keine Begeisterung auslöste. 

Ich gönne den Frauen diesen Hype, die neue Aufmerksamkeit - längst überfällig, auch unabhängig von der realen Leistung. Die Werbespots, Dokus etc., die Kommerzialisierung. Die Entdeckung des Fußballs der Frauen als vielleicht letzte „authentische“ Wachstumsbranche in diesem Spiel  – „authentisch“ im Vergleich zu dem Geld, mit dem Saudi-Arabien und Co. den Fußball zuschütten und ersticken. Aber manchmal hatte ich auch den Eindruck, dass sich das alles etwas zu sehr von der fußballerischen Wirklichkeit löste.


Vielleicht hat dieser ungewohnte Hype, diese rasante nachholende Entwicklung die Frauen etwas überfordert. Eine ungewohnte Situation. Es öffnen sich plötzlich Türen und Möglichkeiten, die lange verschlossen blieben. Nicht immer alles zu glauben, was einem so erzählt wird, muss mensch auch erst einmal lernen. 


Hype bedeutet aber auch Fallhöhe – und damit Druck. Vor dem Turnier regiert der Genuss. Aber wenn der Anpfiff erfolgt ist alles anders. Registriert mensch erst dann, dass er/sie nicht „Top of the World“ ist, dass die anderen es auch verdammt gut können, ja sogar besser, ist es zu spät. Der Glaube an die eigene Stärke schwindet, lässt sich kaum noch rekonstruieren. 


Vielleicht war etwas zu viel Instagram und Koala-Bärchen. Frank Hellmann in der „Frankfurter Rundschau“: „Die Spielerinnen müssen dringend raus aus ihrer Social-Media-Wohlfühloase, wo überall nur beste Laune verbreitet, aber die unangenehmen Thermen nicht angesprochen werden.“

Dass die Bundestrainerinnen Fehler gemacht hat, das wird kaum jemand bestreiten. Verletzungsbedingte personelle Probleme gab es auch (Giulia Gwinn, Felicitas Rauch). Diese waren nicht so leicht zu lösen, Vielleicht wurden sie auch falsch „gelöst“. 


Mensch kann jetzt den Fehler machen und das Scheitern allein der Bundestrainerinnen zuschieben. Vermutlich werden das jetzt auch einige tun. Vermutlich auch einige, die nach der EM am Voss-Tecklenburg-Hype mitgestrickt haben. Weil die Bundestrainerin authentisch und nahbar war, so ganz anders als der Jogi Löw.


Nun zu einigen flüchtigen Beobachtungen bei den Spielen der Deutschen, wobei ich einschränken muss: Gesehen habe ich nur die Auftritte gegen Kolumbien und Südkorea. Was mich am stärksten überraschte, das waren die technischen Fehler. Beispielweise bei der Ballannahme, was Zeit bei der Verarbeitung eines Zuspiels kostet, was die Handlungsschnelligkeit im Spiel beeinträchtigt. Verbunden mit einer wiederholt schlechten Antizipation. Mensch hatte den Eindruck, Spielerin A ist zutiefst überrascht, dass ihr Spielerin B den Ball zupasst. Spielerin A öffnet mit einem Pass den Raum, aber Spielerin B schläft und bleibt stehen. Auch die Zuspiele waren wiederholt technisch schlecht ausgeführt. Dann no speed im Spiel, häufig wirkte es ähnlich langsam bis lethargisch, wie wir es von den Herren kennen. Die gesamte Spielweise sehr eindimensional. Gegen Südkorea ruhten alle Hoffnung auf Flanken, die den Kopf von Alexandra Popp erreichen, denn die Asiatinnen sind ja klein… – bis die Hineinnahme von Sydney Lohmann aufzeigte, dass es gegen eine massierte Abwehr auch noch andere Mittel gibt. Und viel zu wenig positive Aggressivität.


Last but not least: Mit Weltklassespielerinnen ist dieses Team auch nicht gesegnet. Mir fallen hier aktuell nur Merle Frohms, Lena Oberdorf und Alexandra Popp ein. Sowohl gegen Kolumbien wie gegen Südkorea dachte ich: Diese und jene Spielerin könnte unserem Team helfen...


Wir machen gerne das Scheitern an einzelnen Personen fest – das ist auch einfacher. Martina Voss-Tecklenburg ist vermutlich nicht so überragend, wie wir sie gemacht haben. (Haben wir schon bei Hansi Flick erlebt – eine eigene Geschichte). Aber die Probleme sind größer. In den „Westfälischen Nachrichten“ schreibt Jonas Austermann zum Ausscheiden der Frauen: „So unterschiedlich die Vorrausetzungen für fußballbegabte Mädchen und Jungen auch sein mögen, haben beide Systeme doch etwas gemeinsam: Die Ausbildung in Deutschland verschafft den Nationalmannschaften keinen Vorteil mehr, sondern sie lässt sie selbst gegen weitaus kleinere – und vermeintlich rückständige – Nationen verzweifeln. Mit Blick auf das Team von Martina Voss-Tecklenburg gehört zur Wahrheit, dass Länder wie Spanien oder England im Frauenfußball weitaus professionellere und fortschrittlicher aufgestellt sind, als das in der Bundesliga der Fall ist. Dort erreichen maximal vier Vereine gehobenes Niveau – und eine derart dürftige Konkurrenzsituation schlägt sich eben auch bei den besten Spielerinnen des Landes nieder.“


Trotz des Ausscheidens der Deutschen: Von dieser WM gibt es viel Positives zu berichten. Wenn auch nicht von den Deutschen. In der Vergangenheit war die WM der Frauen bis zum Halbfinale eine eher dröge Angelegenheit. Bei acht Turnieren gab es vier verschiedene Weltmeister. Sechs der acht Titel entfallen auf die USA und Deutschland. Europameister England machte erst 2015 auf sich aufmerksam, die Niederlande erst 2019. Von den 32 Halbfinalisten 1991 bis 2019 kamen nur fünf nicht aus Europa oder Nordamerika. Brasilien und China waren zweimal dabei, Japan einmal. Japan ist bis heute auch der einzige Weltmeister, der nicht aus Europa oder Nordamerika kam. 

Deutschland wurde letztmalig 2007 Weltmeister – mit fünf Siegen, einem Remis und 21:0 Toren…Das wird nie wieder passieren, nicht den Deutschen und nicht den Amerikanerinnen. Der Vorsprung ist dahin, und das ist nicht nur eigenen Versäumnissen geschuldet. Wie im Fußball der Männer hat auch im Fußball der Frauen die Welt aufgeholt. Nicht nur die deutschen Frauen mussten nun schon nach der Vorrunde die Heimreise antreten, sondern auch Kanada, Brasilien und China. Norwegen kam nur auf Grund des besseren Torverhältnisses weiter, die USA verbuchten nur einen Punkt mehr als Portugal.  


Die Qualität hat in der Breite enorm zugenommen und wird weiter zunehmen. Schlecht für Fußball-Nationalisten, die im Gestern schwelgen, die der Auffassung sind, der deutsche Fußball MÜSSE IMMER Weltspitze sein, der Rest der Welt sei lediglich Peripherie. Aber gut für den Fußball der Frauen, und dies nicht nur global gedacht. Und da Frauen weniger als Männer dazu neigen, die AfD zu wählen, wird die „Demütigung“, die der Fußball der deutschen Frauen in Ozeanien erlitten hat, auch keine schwerwiegenden gesellschaftspolitischen Konsequenzen zeitigen 

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